Sie kommunizieren wie Hunde

MENSCHLICH GEDACHT
Stell dir vor, du freust dich auf einen gemütlichen Spaziergang mit deiner besten Freundin. Doch irgendwie ist sie heute komisch. Denn kaum möchtest du dir etwas anschauen, greift sie nach deinem Arm und zieht dich weiter. Dabei ist sie nicht gerade sanft. Na gut, denkst du dir, vielleicht hat sie es ja eilig. Aber kaum beschleunigst du deine Schritte, dreht sich deine Begleitung abrupt gegen dich um. Du machst einen erschrockenen Schritt zurück. Da fasst sie schon wieder nach deinem Arm und zieht dich unsanft in die entgegengesetzte Richtung weiter. Sie wirkt nun auch richtig verärgert.

Beim Warten vor dem Geschäft

Du aber hast immer noch keine Idee, was da gerade passiert. Aber um sie nicht noch weiter zu verärgern, sagst du erst mal nichts.

Doch auch das hilft dir nicht wirklich. Denn immer wieder wechselt sie die Richtung, ohne dass du weisst wann oder weshalb. Deshalb trottest du nun verunsichert neben ihr her und machst dich möglichst klein und unsichtbar.

Und schon wieder dreht sie sich zu dir um…aber diesmal bietet sie dir ein Bonbon an. Eigentlich ist dir der Appetit vergangen, aber um sie nicht noch mehr zu verärgern, nimmst du dir eines.

Ich denke, ich muss dich nicht fragen, wie du dich dabei fühlst.

GENAU DIES ERLEBEN TAUSENDE VON HUNDEN JEDEN TAG
Da gibt es Leinenrucks – manchmal auch nett Leinenimpuls genannt – oder der Hund wird an der Leine ohne Vorankündigung weitergezogen. Auch abrupte Richtungswechsel werden geübt und immer weiter perfektioniert – blockend auf den Hund zu oder von ihm weg um nur einige zu nennen. Schliesslich ist er selbst schuld, wenn er nicht aufpasst und in die Leine läuft.

Als Begründung für diese Art von Training kommt dann gerne: Das ist keine Gewalt. Wir kommunizieren taktil und körpersprachlich, so wie es Hunde untereinander auch tun würden. Da wirft auch keiner mit Leckerchen um sich.

Ach so! Und deshalb wird der Hund, für ihn aus dem Nichts, angerempelt und am dünnen Halsband gezogen und geruckt? Weil, das machen ja Hunde auch so untereinander, wenn sie einander an der Leine führen.

WIR KOMMUNIZIEREN WIE HUNDE
Da frag ich mich automatisch, wie können die, die dies sagen, wie Hunde kommunizieren, wenn sie doch Menschen sind? Lecken sie ihren Hund zur Begrüssung über die Schnauze und beschnüffeln seine Analregion?

Und wie ist es mit all den feinen Signalen davor? Runzeln sie die Nase oder zucken sie mit der Lefze, um ihrem Hund zu sagen, dass er zu weit geht und sie ihn gleich stoppen werden?

Und ja richtig, Hunde gehen auch nicht immer zimperlich miteinander um.

Aber wann tun sie dies? Doch immer dann, wenn der Andere ein unangenehmes Verhalten GEGEN ihn selbst oder einen Sozialpartner zeigt oder wenn dieser ihm etwas Wichtiges nehmen möchte. Aber noch viel wichtiger: Bevor er zu diesen harten Abbruchssignalen greift, hat er lange davor schon viele feinere Signale ausgesandt, die sein Gegenüber ignoriert hat.

Und was ist mit uns? Sind wir in der Lage all diese feinen körperlichen Signale mit unserem menschlichen Körper ausdrücken und erst noch fehlerfrei? Oder hört bei dieser Argumentation der Einsatz von hündischer Kommunikation dort auf, wo es nicht mehr um körpersprachliche Stopp- und einschränkende Signale geht?

KÖRPERSPRACHLICHE KOMMUNIKATION IST DOCH KEINE GEWALT
Beim Wort „Gewalt“ kommen uns meist spontan Handlungen wie Schläge, Kicken, Anschreien, Blocken oder mit Gegenständen werfen in den Sinn. Dabei übersehen wir, dass es auch viel subtilere gibt, die für Andere auf den ersten Blick nicht immer gleich ersichtlich ist. Es geht um „Gewalt“ welche das seelische Gleichgewicht aus der Balance bringt und die Sicherheit und Selbstbewusstsein des Lebewesens beeinträchtigt.

Hier finden sich unter anderem Drohen und körpersprachliches Bedrohen und Einschüchtern. Aber auch Druck und Zwang sowie die soziale Ausgrenzung und Isolation. Dies führt dazu, dass das Lebewesen unsicherer und abhängiger von der Unterstützung und Führung von anderen wird – selbst bei einfachsten Aufgaben traut es sich immer weniger zu. Sein Mensch hingegen freut sich, weil sein Hund vermeintlich mehr Gehorsam zeigt und er dafür auch oft noch bewundert wird.

Aber diese Unsicherheit und Abhängigkeit darf doch niemals das Ziel im Umgang und Training mit einem Lebewesen sein – egal ob Mensch oder Hund! Und vor allem, es geht auch anders. Deshalb schau genau hin, wenn die einen „gehorsamen“ Hund siehst: ist sein Ausdruck offen und freudig oder zeigt er bereits Stresssignale.

ERKENNE DIE SIGNALE DEINES HUNDEN
Die folgenden Signale zeigen dir, dass sich der Hund gerade nicht wirklich wohl fühlt. Oft sind es nur leichte Anzeichen wie eine leichte Anspannung um die Lefzen oder zurückgezogene Ohren, Manchmal ist auch der Blick abgewandt oder der Hund gähnt, obwohl er gar nicht müde ist.

Sie können aber durchaus auch deutlicher ausfallen, wie. Hier ein paar Beispiele, was alles zu sehen sein könnte:

  • Starke Anspannung, der Hund fiddelt oder ist im Gegenteil reglos und angespannt
  • Er duckt sich, der Rücken ist meist rund. Manchmal sind auch die Hinterbeine eingeknickt
  • Er läuft angespannt, auch gerne im Passgang und kneift die Pobacken zusammen
  • Der Hund zeigt Meideverhalten wie Blick oder Körper abwenden, ausweichende Bewegungen
  • Er sendet gehäuft Calming Signals wie Züngeln, Gähnen, Blinzeln
  • Es sind immer mehr Stresssignale und Stressgesichter zu erkennen

Natürlich kann dies Alles auch in anderen Zusammenhängen auftauchen. Und es müssen auch nicht alle Signale und auch nicht so stark zu sehen sein. Kommen sie aber gehäuft vor, zeigt dies, dass sich der Hund unwohl fühlt.

Spätestens jetzt muss auch ein Training verändert oder gar abgebrochen werden. Denn ein gestresster Hund lernt nicht nur schlecht, es geht ihm auch schlecht. Ein Training soll aber Hund und Mensch gut tun. Dann werden sich diese guten Gefühle auch auf den Alltag mit seinen teils noch schwierigen Situationen übertragen.

ABER BEI MEINEM HUND FUNKTIONIERT ALLES ANDERE NICHT
Ein richtig angewandtes und gut geplantes Training funktioniert immer!

Und natürlich auch das Training, welche neben belohnenden auch korrigierende Methoden anwendet. Denn auch hier wirken die operante Konditionierung und somit die Lerngesetze. Falls du jetzt sagst, ich strafe meinen Hund doch nicht: Du kannst deinen Hund nur dazu bringen, sein Verhalten zu verändern, indem du ihn für Verhalten belohnst oder bestrafst.

Dass diese Art des Trainings jedoch besser funktionieren soll als das positive Training wird ohne Beweis in den Raum gestellt. Meist gestützt auf Aussagen von Kunden, ohne zu überprüfen, wie diese bis anhin tatsächlich trainiert haben. Denn nicht überall wo positives Training drauf steht, ist auch wirklich ein bedürfnisorientiertes und belohnungsbasiertes Training drin.

Deshalb gibt es auch keinen Grund, weshalb ein richtig angewandtes, positives Training nicht zum Ziel führen soll. Und dass der Hund dabei keine Regeln und Grenzen lernt oder keine Abbruchsignale kennt, gehört genauso in die Welt der Mythen, wie dass der Mensch nur sicher führen müsse, damit der Hund seine Angst verliert.

NUTZE DIE VIER QUADRANTEN KLUG UND EMPATHISCH

Video zum angekündigten Richtungswechsel
Klick auf das Bild

Jeder, der neben den eigenen Erfahrungen auch die Theorie und den aktuellen Wissenstand in seine Trainings einfliessen lässt, wird diese Lerngesetze zum Wohle der Hunde nutzen und ganz auf die bewusste positive Strafe verzichten.

Dafür wird so viel positive Verstärkung wie möglich nutzen und so wenig wie möglich die 2 negativen Quadranten. Denn er weiss, dass sich ein Training mit Erkennen, Herbeiführen und Belohnen von erwünschtem Verhalten viel besser für Alle anfühlt als das Verhindern und Bestrafen von unerwünschtem Verhalten liegt.

Dann braucht es nur noch einen guten Trainingsplan, das Erlernen und Beherrschen der Werkzeuge sowie die Konsequenz im eigenen Handeln, dann klappt es auch mit Hunden, die aversiv vorwärts gehen oder denen nachgesagt wird, dass sie eine harte Hand brauchen. Denn auch diese lernen besser, wenn ihr Verhalten nicht unterdrückt wird, sondern die zugrunde liegenden Emotionen und Ursachen ermittelt und positiv verändert werden.

Sind wir es unseren Hunden nicht schuldig, zu verstehen wieso sie handeln wie sie es tun. Aber auch, dass sie sich bei uns und in unseren Trainings und im Alltag wohlfühlen? Gerade wenn wir von ihnen Verhalten abverlangen, welches in ihrer Welt nicht vorkommt.

Ich hoffe, dieser Artikel trägt aber auch zum Verständnis bei, dass ein bisschen Gewalt eben auch Gewalt ist und dass kein Hund lernen muss, dieser durch Meideverhalten zu entgehen.

Und ja, wem dies Alles zu viel ist, der setzt halt weiterhin auf Leinenrucks und Rempler, um sich selber das Leben leichter zu machen. Und glaubt jenen, die behaupten, dass sie sich damit hündisch verhalten.

Und bedenke: Was als Gewalt empfunden wird, bestimmt der Empfänger und nicht der Sender! Das gilt übrigens auch für Belohnungen

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© 2021 – Teamschule – Monika Oberli

4 Gedanken zu “Sie kommunizieren wie Hunde

  1. Pingback: Von Wattebauschwerfern und Gewalt(anwendern) – Teil 2 | TeamSchule für Mensch und Hund

  2. Pingback: Von Wattebauschwerfern und Gewalt(anwendern) | TeamSchule für Mensch und Hund

  3. Ich nehme mir Hunde gerne zum Vorbild. Aber nicht überforderte schlecht sozialisierte Hunde, die sich nur noch mit Aggressivität zu helfen wissen, sondern souveräne gut sozialisierte Hunde, denen ich lange gar nicht angesehen habe, daß sie überhaupt etwas machen. Denn vor allem bleiben sie ruhig und nett. Setzen sich zum Beispiel einfach hin oder drehen sich weg. Das waren die einzige Hunde bei denen unser Erster entspannt blieb.

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    • Hallo Martin
      Vielen Dank für deinen Kommentar. Und ich bin ganz bei dir, diese Hunde sind wirklich tolle Lehrmeister.
      Eigentlich ist dies bei uns ja auch nicht anders. Bei einem souveränen Menschen fühlen wir uns auch gleich viel entspannter. Und in kritischen Situationen schliessen wir uns auch lieber diesem an als einem der lauthals seine Befehle erteilt. Und dies teils ohne Sinn und Plan – oder zumindest wirkt es so.

      Monika

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