Ich habe obigen Titel ganz bewusst gewählt. Denn sobald das erste Mal das Wort „Strafe“ auftaucht, braucht man nicht lange auf die Begriffe „Gewalt“ und „Wattebauschwerfer“ zu warten. Und schon ist eine sachliche und inhaltbezogene Disukission im Keime erstickt.
Alle Bilder in diesem Artikel sind mit KI erstellt und zum Teil mit Photoshop angepasst und erweitert.
Auch im Netz und in Zeitschriften erscheinen regelmässig Beiträge, die dem positiven Training* ein Funktionieren absprechen – zumindest wenn es um harte oder eigenständige Hunde geht (was auch immer darunter verstanden wird).
Dies nutzen die Autoren und Autorinnen dann auch dazu, ihre Trainingsphilosophie zu rechtertigen, welche einschüchternde, schmerzhafte oder bedrohliche Handlungen nicht ablehnt.
* wobei wir es lieber belohnungsbasiertes und bedürfnisorientiertes Training nennen. Trotzdem werde ich der Einfachheit zuliebe nachfolgend bei diesem Begriff bleiben.
So auch dieser Artikel, welcher leider in vielen Facebook-Gruppen und -profilen regelmässig geteilt und geliked wird: „Die moderne Hundeerziehung…“
Er steht beispielhaft für all die anderen, welche pseudowissenschaftlich beschreiben, was die Autoren/Autorinnen unter positivem Training verstehen und weshalb es in ihren Augen nicht funktionieren oder sogar schädlich sein kann. Dass sie damit bewusst ein völlig falsches Bild vom positiven Training entstehen lassen, werde ich anhand von Zitaten aus obigem Artikel aufzeigen.
Es gäbe noch viel mehr, das kritisch hinterfragt werden könnte, aber dann hätte der Beitrag gar kein Ende gefunden.
ZITAT: Permanent machen Hunde uns soziale Angebote. Was spricht dagegen, diese Angebote auch sozial zu beantworten?
Aufgrund der fehlenden Definition zu den sozialen Angeboten, wäre es eine reine Spekulation was die Autorin damit meint.
Sind bei diesen Angeboten zum Beispiel sozio-positive Kontaktaufnahmen gemeint, dann finden sich unzählige bei den positiv arbeitenden Hundehaltern wie ein Lächeln oder eine feine Berührung. Und selbstverständlich werden auch andere soziale Angebote wie Spielaufforderungen oder Kuschelangebote sehr oft positiv beantwortet.
Hingegen beantworten wir ein ernsthaftes Knurren nicht mit einem Knurren oder ein aggressives Verhalten mit noch einem aggressiveren Verhalten. Denn wir wissen, dass Aggression zu weiterer Aggression führt und dies nicht nur zwischen Hunden. Wir Menschen sind unseren Hunden doch soweit intellektuell voraus, dass wir reflektieren und voraus planen können und uns nicht auf hündisches Verhalten herablassen müssen.

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ZITAT: …wird der Hund auf eine Reiz-Reaktions-Maschine degradiert

Ein interessantes Argument aus der Tastatur einer Trainerin, deren Erziehung und Ausbildung auf Korrekturen setzt. Erst recht dann noch mit diesem Zusatz „Der Hund zeigt Verhalten A, wird belohnt und führt daraufhin Verhalten A häufiger aus. Das ist der Grundsatz, auf den sich konzentriert wird.“
Die obige Aussage kann jedoch einfach umformuliert werden, damit sie auch für Korrekturen passt: „Der Hund zeigt Verhalten A, wird dafür korrigiert und führt daraufhin Verhalten A seltener aus. Das ist der Grundsatz, auf den sich konzentriert wird.“
Im Gegensatz zum positiven Ansatz rückt hier aber das Funktionieren in den Vordergrund, während Ursachen und Emotionen eher zweitrangig sind. Oder häufig auch zu Ungunsten des Hundes ausgelegt werden.
Es bleibt aber zu hoffen, dass keiner so mit seinem Hund zusammenlebt, dass er ihn zur reinen Reiz-Reaktions-Maschine degradiert. Und gerade im positiven Training wird der Hund ganz viel mit seinen Bedürfnissen und Empfinden gesehen und wird in seinem Tun bestätigt. So kann er auch gut aushalten, wenn es mal nicht so ist und er zurückstecken muss.
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ZITAT: Warum sollte man an dieser Stelle mit der Konditionierung anfangen und somit Kommunikation in seiner ursprünglichen Form behindern?
Keine Ahnung zu welcher Situation diese Aussage passen soll. Könnte es sein, dass die Autorin Training und Unterstützung im Konflikt mit dem alltäglichen Leben gleichsetzt?
Denn selbstverständlich besteht das Leben eines positiven Hundehalters mit seinem Hund nicht nur aus Ausbildung und erst recht nicht nur aus Konditionierung. Was wäre das für ein Leben, wenn nicht auch Platz wäre für eine ganz normale, freundliche Kommunikation, die nichts bezweckt und ein Zusammensein bei dem sich alle wohlfühlen?
Und es ist auch ein Trugschluss, dass ein Trainer der mit seinen Hunden körpersprachlich kommuniziert (oder anders gesagt, körpersprachlich korrigiert“) nicht konditioniert. Denn auch beim Blocken/Korrigieren nutzt er die klassische Konditionierung: der Mensch dreht sich gegen den Hund sobald dieser vorläuft, worauf dieser zurückweicht. Mit der Zeit reicht dann oft schon ein kleines Straffen der Schulter.

Und schon haben wir ein klassisch konditioniertes Signal das dem Hund sagt, machst du dies, kann es unangenehm werden (Reiz-Reaktion / Verhalten – Konsequenz).
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ZITAT: Sie leben permanent in einer Grauzone, ohne zu wissen, was nun gewollt ist und was nicht.

Diese Aussage ist genau so wenig nachvollziehbar wie die davor. Denn wo lässt positives Training den Hund im Regen stehen? Es trifft doch genau das Gegenteil zu: es zeigt dem Hund, welche Verhalten erwünscht sind und wie er einen Konflikt anders als mit Aggression lösen kann.
Gerade das im Artikel aufgeführte chinesische Experiment ist ein doch ein tolles Beispiel dafür. Denn auch hier muss der Besucher erst die Regeln und die Verhaltensweisen dieses für ihn fremden Landes lernen, um nicht anzuecken. Da ist er dankbar um Jemandem, der ihm dies alles freundlich und in seinem Tempo zeigt und auch bei Fehlern geduldig bleibt. Der chinesische Führer würde den Besucher hoffentlich auch nicht bewusst in Fehler laufen lassen, damit er lernt, dass dies nicht angemessen ist.
ZITAT: Gegen Unsicherheit und Stresssymptome wird natürlich ebenfalls wieder alles „schön geclickert“ ohne zu sehen, dass der Hund einfach nur eine eindeutige Linie bräuchte, an der er sich orientieren kann.
Was für eine abwertende Aussage. Wer sich mit dem positiven Training auskennt, weiss, dass dieses nicht nur bei Unsicherheit und Stress aus viel mehr Komponenten besteht als einfach alles nur schön zu clickern. Der Hund wird aber auch nicht durch eine imaginäre Linie dazu gezwungen, eng am Bein seines Menschen schwierige Begegnungen auszuhalten, die er mit etwas Distanz gut bewältigen könnte.
Aber natürlich gibt es auch im Alltag und Training eines positiv arbeitenden Hundehalters Regeln und Leitlinien. Der Hund lernt jedoch, dass es sich lohnt innerhalb dieser Leitplanken zu bleiben und erfährt nicht durch unangenehme Korrekturen, dass er diese nicht überschreiten darf. Umgekehrt hat der Hund aber auch das Recht, uns mitzuteilen wo seine Grenzen und Bedürfnisse sind.
Viele Hunde sind so anpassungsfähig, dass sie sich auch mit Korrekturen irgendwie arrangieren können. Aber schön ist es auch für diese nicht. Und was ist mit all den Anderen, die sich deswegen laufend im Konflikt zwischen ihren eigenen Bedürfnissen und der Angst vor den negativen Konsequenzen befinden? Werden diese dann permanent korrigiert?

ZITAT: Es wird behauptet, alles könnte man positiv gestalten. Was aber tun, wenn der Hund sich aggressiv zeigt?

Was genau ist mit „aggressiv“ gemeint? Ist es der Hund, der knurrt, weil sich die Katze seinem Knochen nähert oder der Hund, der sich aus Angst nicht anfassen lässt und wenn man es doch versucht, knurrt und abschnappt?
Und ja, auch diese Situationen kann man positiv gestalten, indem man zum Beispiel dafür sorgt, dass die Katze gar nicht erst hin kann, wenn er am fressen ist. Und einen Hund, der sich bei Berührungen oder Pflege unwohl fühlt, kann man langsam an diese gewöhnen. Denn wieso soll Medical Training, das bei Wildtieren funktioniert, nicht auch bei unseren Hunden möglich sein?
Und wenn nötig, hilft ein Splitten/Blockieren ganz ohne Drohen oder Fixieren etwas zu verhindern, ohne dass der Hund danach ein Stress- oder Meideverhalten zeigt. Weshalb sollte er auch, er hat ja sein Verhalten daraufhin gestoppt.
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Und wenn ein Hund wirklich übersteigertes aggressives Verhalten zeigt, hilft es ihm mehr, nach den Ursachen zu forschen statt ihn dafür zu bestrafen. Denn vielleicht hat er Schmerzen oder fürchtet er sich vor etwas. Und selbst wenn er in der Vergangenheit gelernt hat, dass er so Schmerzhaftem entgehen kann, rechtfertigt dies nicht, ihn deshalb zu massregeln.
ZITAT: Wer sagt, dass der Hund Aggressionen wirklich als negativ erlebt?
Wenn ein Hund immer wieder in Situationen gebracht wird, in denen er sich verteidigen oder sonst ein aggressives Verhalten zeigen muss, wird er vielleicht eines Tages tatsächlich gelernt haben „Angriff ist die beste Verteidigung“. Das bedeutet aber noch lange nicht, dass er sich gut damit fühlt und sich ein solches Leben wünscht.
Und ja natürlich gibt es auch Hunde, welche so lernen, dass es sich besser anfühlt, der Sieger statt der Verlierer zu sein und irgendwann andere Hunde grundlos angehen. Das ist aber nicht der Normalfall und auch dieser Hund fühlt sich in dieser Rolle nicht wirklich wohl. Denn die meisten Hunde, die so agieren, überdecken damit ihre eigenen Ängste und laufen auch immer Gefahr, dabei verletzt zu werden.
Die restlichen Punkte lasse ich einfach mal so stehen. Nur so viel: nicht jeder unsichere Hund hat auch einen unsicheren Hundehalter.

ZITAT: Kontrolle als Gefahr der Persönlichkeitsentwicklung: Hunde lernen Hilflosigkeit

Diese Argumentation finde ich spannend. Gerade das gute positive Training zeigt doch dem Hund Wege zu eigenständigen Problemlösungen. Das gibt ihm nicht nur Kontrolle über sein Leben, es stärkt auch sein Selbstwertgefühl. Dadurch kann er zu einer souveränen und selbstbewussten Persönlichkeit heranwachsen. Denn ein belohnendes Training führt zu einer sicheren und stabilen Beziehung.
Beim Training über Korrekturen und Strafen hingegen geht erst einmal ganz viel Kontrolle vom Besitzer aus, welche den Hund abhängig macht und ihm wenig Freiheiten zum Ausprobieren gibt. Beides schadet der Beziehung.
Je unberechenbarer die Korrekturen dann auch noch daher kommen, desto hilfloser und unselbständiger wird sich der Hund fühlen. Auch die Erwartungssicherheit, die für Stabilität und Vertrauen sorgt, geht verloren.
ZITAT: Eine Auseinandersetzung des Hundes mit einer für ihn unangenehmen Situation wird auch gar nicht gewünscht
Aber natürlich ist dies gewünscht. Denn es sollen ja keine Scheuklappen-Hunde ausgebildet werden, sondern Hunde, die auch für schwierige Situationen gute Problemlösungen erlernen und wissen, dass sie diese schaffen.
Deshalb werden diese Situationen im Training auch immer nur in der Dosis präsentiert, mit der der Hund noch in der Lage ist, bewusst zu handeln und lernen. Und wenn es im Alltag dann doch einmal noch zu schwierig ist, dann weiss er, dass er Unterstützung bei seinem Menschen findet.
Weil dies Alles so unspektakulär und easy aussieht, wurde die Autorin vielleicht zu obiger Annahme veranlasst.

ZITAT: Was ist genau Gewalt? Wenn schon ein Leinenimpuls Gewalt ist, muss ich ein gewalttätiger Mensch sein.

Nein, ein Leinenimpuls selbst wird sicherlich von den wenigsten Hunden als gewalttätige Handlung empfunden, aber sicherlich als unangenehm. Denn wenn er das nicht wäre, kann man genauso gut darauf verzichten, denn dann wäre er entweder zu schwach oder der Hund schon so dagegen abgestumpft, dass er keine Veränderung mehr bewirkt.
Aber nicht zu wissen, weshalb er ihn bekommt und somit auch nicht wann, ist einschüchternd und bedeutet eine grosse psychische Belastung. Denn durch die Korrektur wird dem Hund ja nicht gezeigt, was wirklich gewünscht wird. Auch verliert er seine Erwartungssicherheit, die für ihn genau so wichtig ist wie für uns.
Der Hund wird irgendwann vielleicht tatsächlich nicht mehr an der Leine ziehen, aber nur weil er Angst hat, dass dann wieder etwas Unangenehmes passiert?
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Was aber wenn der Hund durch die Ungewissheit so verunsichert ist, dass er vor lauter Stress noch mehr zieht oder aggressives Verhalten gegenüber Anderen zeigt?
ZITAT: Das mag durchaus so sein, aber andere Wege sind auch gewaltfrei. Gewalt ist nicht eine Strafe.
Das ist richtig. Aber umgekehrt kann ein Schuh daraus werden. Und zwar dann, wenn die Strafe vom Bestraften als physische oder psychische Gewalt wahrgenommen wird. Dies geschieht umso schneller, je inkonsequenter das Verhalten des Strafenden ist. Hinzu kommt, dass Niemand in der Lage ist, immer und zu jeder Zeit alle Regeln einzuhalten, damit eine Strafe korrekt durchgeführt wird.
Ausserdem: wie soll der Hund verstehen, wofür er bestraft wird, wenn er sich keines Unrechts bewusst ist? Dazu müsste er ja erst lernen, was in unseren Augen richtig ist. Aber wozu braucht es dann noch eine Strafe? Reicht da nicht eine Erinnerung durch ein bekanntes Signal?

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Deshalb ist der positive Weg nicht einfach nur ein gewaltfreier Weg sondern einer, der auf bewusste Strafen und Korrekturen verzichtet (im Sinne des 4. Lernquadranten P+). Das hat weder etwas mit Wattebauschwerfen, Gutmenschen oder grenzenlosem Training (Laisser-faire, antiautiauritär…) zu tun, sondern einfach, weil sich dieser Weg besser anfühlt und erst noch funktioniert.
Kein positiv arbeitende Hundehalter behauptet, dass ein Training mit Strafen und Korrekturen nicht funktioniert. Sie sind aber nicht bereit, diese bei irgendeinem Lebewesen bewusst anzuwenden und schon gar nicht bei einem, für das sie verantwortlich sind. Denn sie wissen, dass es auch anders geht.
Und ja, es ist richtig. Auch ein positiv arbeitender Hundehalter oder sein Hund haben mal einen schlechten Tag und es läuft nicht alles rund. Aber in solchem Momenten wird auch nicht trainiert, sondern Management betrieben wo es nötig ist und der Rest ruhen gelassen. Denn auch so kann auf Strafen verzichtet werden.
ZITAT: Eine offene Gesprächskultur als Grundbedingung

Da bin ich ganz bei der Autorin. Mit verhärteten Ansichten und Vorurteilen in eine Diskussion zu gehen bringt nichts. Nur wie schade ist es dann, im gleichen Abschnitt mit abwertenden Titulierungen zu einer offenen Gesprächskultur aufzurufen.
Es bringt aber genauso wenig, in das Gespräch mit der Idee einzusteigen, die positiv arbeitenden Trainer davon zu überzeugen, dass es bei manchem Hund ohne Korrektur nicht funktioniert. Denn dass es anders geht, zeigen unzählig positiv arbeitende Trainer und Hundehalter.
Schade finde ich es auch, wenn man sich in Diskussionen gegen das Wort Strafe oder Gewalt verwehrt und kurz darauf wieder genau jene Beispiele bringt, bei denen doch mit Korrekturen und Blocken gearbeitet wird – weil es eben doch Hunde gibt…
Daher mein Wunsch an dich als Leser: schau dir die Arbeit von positiv arbeitenden Trainern nicht nur anhand von Trainingsvideos an, sondern geh mit diesen in den Alltag und schau ihrem Training zu. Und du wirst sehen, wie erfolgreich das positive Training auch oder gerade bei Hunden mit grösseren Themen ist.
Weitere Links zu diesem Thema:
© 2021 (Überarbeitet 2024) Monika Oberli, Teamschule.ch











Welche „Studie, bei der man heraus gefunden hat, dass ein Hund, der über Teletak und Stachelhalsband ein Abbruchsignal lernt, weniger Stress hat, als ein Hund der es nur positiv aufgebaut bekommen hat.“ ist denn gemeint?
Ich kenne in der Richtung nur diese „Studie“ bei der positive mit negativer Strafe verglichen wurde: http://www.der-schutzhund.de/files/boehmi_ss09.pdf
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Ja, es geht um diese Studie in der ein Abbruchsignal konditioniert wurde.
Ich hatte in Erinnerung, dass ich damals auch irgendwas zum Marker/Clicker gelesen habe. Aber ich habe mir nun nicht noch einmal das Literaturverzeichnis angeschaut. Deshalb habe ich das Wort „Clickertraining“ in diesem Abschnitt nun ersetzt.
Aber es stand nirgends, dass dieses Abbruchsignal rein nur positiv aufgebaut worden sein soll. Jedoch gehört zu einer Arbeit mit negativen Strafen auch immer, dass man dem Hund gleichzeitig mit positiven Verstärkern zeigt, was denn erwünscht ist. Sonst kann die negative Strafe gar nicht richtig funktionieren und es kommt zu einer höheren Stressreaktion.
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