Ich habe obigen Titel ganz bewusst gewählt. Denn sobald das erste Mal das Wort „Strafe“ auftaucht, braucht man nicht lange auf die Begriffe „Gewalt“ und „Wattebauschwerfer“ zu warten. Und schon ist eine sachliche und inhaltbezogene Disukission im Keime erstickt. Alle Bilder in diesem Artikel sind mit KI erstellt und zum Teil mit Photoshop angepasst und erweitert.
In dieser Serie geht es um Mythen und Thesen, die von Trainer*innen über das positive Hundetraining* aufgestellt werden, die selber Korrekturen und Einschüchterung zur Verhaltensveränderung nutzen. Damit spielen sie allen Hundehaltern in die Hand, denen das Funktionieren des Hundes wichtiger ist, als der Weg dorthin.
* wobei wir es lieber belohnungsbasiertes und bedürfnisorientiertes Training nennen. Trotzdem werde ich der Einfachheit zuliebe nachfolgend bei diesem Begriff bleiben.
So auch in diesem Artikel, welcher beispielhaft für viele andere steht, die leider in vielen Facebook-Gruppen und -profilen regelmässig geteilt und geliked werden: „Die moderne Hundeerziehung…“.
Kritische Fragen unter diesen Beiträgen hingegen sind meist nicht erwünscht und werden bei FB teils umgehend gelöscht und die entsprechende Person geblockt.
Dass sie damit ein völlig falsches Bild vom positiven Training entstehen lassen, werde ich anhand von Zitaten aus obigem Artikel zeigen (Zu den weiteren Zitaten geht es hier).
ZITAT: …denn die Wissenschaft hat doch immer Recht. Wenn man etwas von wissenschaftlichen Arbeiten weiß, gilt dieses Argument dagegen nicht mehr

Jedem seriöser Wissenschaftler ist bewusst, dass das was er heute weiss, durch neue Forschungsergebnisse erweitert oder gar revidiert werden kann. Selbst grosse Namen in der Verhaltensforschung haben ihre früheren Erkenntnisse über Wölfe und Hunde durch spätere Beobachtungen revidiert (man denke nur an Konrad Lorenz und David Mech).
Dass Studien zu unterschiedlichen Ergebnissen führen können, ist bekannt. Es sagt aber noch nichts darüber aus, ob eine davon richtiger ist als die andere. Sehr oft liegt es auch einfach an unterschiedlichen Fragestellungen, Blickwinkeln, Meinungen und Herangehensweisen.
Gerade aktuell erleben wir durch neue Studien in der Verhaltensforschung wie sich gerade unser Wissen über Hunde erweitert und alte Zöpfe nach und nach abgeschnitten werden.
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Dadurch erkennen wir auch immer deutlicher wie ähnlich uns Hunde gerade im emotionalen und im Bindungsverhalten sind. Aber auch wie gross ihr Bedürfnis nach einem friedlichen Zusammenleben ist, das ihnen Sicherheit und Verlässlichkeit bietet. Dazu gehört auch die Unversehrtheit von Körper und Geist und dass ihre Bedürfnisse gesehen, verstanden und so weit als möglich erfüllt werden.
ZITAT: …letzten Endes immer wieder auf die Theorien der operanten und klassischen Konditionierung verwiesen. Nun sind die Theorien 100 beziehungsweise 50 Jahre alt…
Alt bedeutet nicht gleichzeitig veraltet. Und so gehört auch das Wissen über die klassische Konditionierung und die vier Quadranten der operanten Konditionierung noch lange nicht zum alten Eisen. Denn bis heute hat noch Niemand diese über 100 Jahre alten Lerngesetze und die zugehörigen Emotionen widerlegen können.
Im Laufe der Jahre wurden sie jedoch um Erkenntnisse über innere Zustände wie das Stress- und Bindungsverhalten aber auch die Kognition oder die Epigenetik ergänzt.
Und deshalb wissen wir auch, dass Hunde mehr als reine Reiz-Reaktionsmaschinen sind und durchaus Zusammenhänge und Konzepte verstehen und selbständig Probleme lösen können.
Um so unverständlicher, dass es immer noch Menschen gibt, die bewusst mit Verunsicherung, Angst, Schrecken oder Schmerz arbeiten, um damit Verhalten von Hunden zu verändern. In der operanten Konditionierung wird dies übrigens „positive Strafe“ genannt.
ZITAT: Meide- und Stressverhalten wird in der modernen Hundeerziehung nicht mehr gerne gesehen….Somit soll er auch bloß nie in die Bedrängnis kommen zu „beschwichtigen“.

Dass der Hund Meideverhalten zeigt, weil er sich vor den Konsequenzen seines Menschen fürchtet, kann und darf in unseren Augen nicht der Weg von Training und Erziehung sein.
Denn auch wenn der Hund danach in einer Begegnung still bleibt oder Fressbares liegen lässt, hat dies nichts mit Freiwilligkeit oder Verstehen zu tun. Es ist einzig die Angst vor der Korrektur, ohne dass der Hund den Grund dafür wirklich versteht. Wie sehr er dadurch verunsichert ist, ist gut an den diversen Stress- und Konfliktsignalen zu erkennen.
Das positive Training kennt da deutlich schönere Wege, dem Hunde etwas beizubringen, dass er freiwillig Dinge unterlässt oder ganz ohne Meideverhalten auf die Signale seines Menschen reagiert. Selbst Begegnungen werden leichter, weil der Hund gute Strategien dafür gelernt hat.
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Das Kennen und Verstehen der hündischen Körpersprache und der Calming Signals (Beschwichtigungs-, Beruhigungssignale und Übersprungshandlungen) ist deshalb im Zusammenleben mit unseren Hunden sehr wichtig. Sie sagen uns, wie sich der Hund gerade fühlt und ob eine Begegnung für ihn in Ordnung ist oder ob er unsere Unterstützung braucht.
Sie werden aber nicht nur im aggressiven oder unsicheren Kontext gezeigt, sondern sind ebenfalls bei soziopositiven Kontaktaufnahmen zu sehen.
Deshalb werden die Kunden im positiven Training auch darauf sensibilisiert und sie lernen, was diese in welchem Zusammenhang bedeuten.
Bei Stress hingegen gilt es genau hinzuschauen. Denn auch wenn Hunde nicht in Watte gepackt werden können und sollen, so gilt es doch zu differenzieren: Ist es ein milder Stress und findet der Hund dazu gute Lösungsmöglichkeiten oder fühlt er sich in dem Moment hilflos und überfordert?
Deshalb achtet der positiv arbeitende Hundehalter auch darauf, Frust und Stress im Training möglichst nicht entstehen zu lassen. Denn Hund und Mensch lernen im entspannten Umfeld deutlich besser und es entstehen keine negativen Gefühle, welche sich später auch auf die Signalgebung im Alltag auswirken werden. Und er führt den Hund auch im Alltag nicht bewusst in Situationen und Begegnungen, die noch viel zu schwer für ihn sind.
ZITAT: …Bloch, der bei seiner Studie an verwilderten Haushunden gut zeigen konnte, dass so manches „Beschwichtigungssignal“ in den meisten Fällen einfach eine normale Geste ist.
Nicht umsonst heisst es «Trau nur einer Statistik, die du selbst gemacht hast».
Das gilt auch für die Studie, die von einer Teilnehmerin beim Tuscany Project von Günther Bloch durchgeführt wurde. Denn auch hier darf man sich nicht nur die Ergebnisse anschauen, sondern auch wie diese entstanden sind:
Es wurden freilebende Hunde beobachtet, die in einem klar umrissenen Gebiet lebten, wo sie bekannten Gefahren und Hunden begegneten. Auch erwartete Niemand, dass sie irgendwelchen menschlichen Regeln anpassen oder in fremden Gebiete spazieren gehen. Aus diesem Grund war das eine oder andere Verhalten bestimmt auch seltener als Übersprungs- oder Stressignal zu sehen.

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Zudem hat Turid Rugaas unter den Calming Signals nicht nur die Beschwichtigungssignale, sondern auch die Beruhigungssignale und die Übersprungshandlungen beschrieben, was dann im Deutschen leider vereinfacht mit „Beschwichtigung“ übersetzt wurde.
Auch hat sie nie behauptet, dass diese Verhalten nur als Calming Signals zu sehen sind. Denn natürlich schnüffelt ein Hund auch am Boden, weil es da gut riecht oder er gähnt, weil er müde ist. Deshalb gilt es immer, sich den Kontext anzuschauen, in dem die Zeichen zu sind.
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Über diese Punkte habe ich an einem Seminar auch mit Günther Bloch diskutiert als die Studie frisch erschienen ist. Auch andere Teilnehmer berichteten, dass sie Beschwichtigungs- und Konfliktsignale bei ihren Hunden beobachten konnten, obwohl kein anderer Hund in der Nähe war. Sehr oft stellte sich dann später heraus, dass dort tatsächlich ein anderer Hund durchgegangen und seine Markierungen hinterlassen hat.
Und so wissen wir zwar nicht immer, weshalb ein Hund Calming Signals zeigt, aber wir erkennen daran, dass ihn gerade etwas beschäftigt.
Günther Blochs Antwort am Ende der Diskussion war übrigens: Wenn mehrere Hundehalter das gleiche beobachten, ist es erst eine Anekdote, die dann später oft von der Wissenschaft bestätigt wird.
Dazu und zur folgenden Studie verlinke ich auch gerne diese Sendung von Mai Thi Nguyen-Kim „MaiThink X – Was ist Wissenschaft, was kann sie, was kann sie nicht?„
ZITAT: Oder man denke an die Studie, bei der man heraus gefunden hat, dass ein Hund, der über Teletak und Stachelhalsband ein Abbruchsignal lernt, weniger Stress hat, als ein Hund der es nur positiv aufgebaut bekommen hat.
Wenn man diese Studie ganz genau durchliest, erkennt man auch, wie viele Verfahrensfehler dabei gemacht wurden. Zum einen wurde unterschiedlich getestet, denn während beim Teletak ein beobachtender Trainer die Stromreize auslöste, war es beim positiv aufgebauten Abbruchsignal und beim Stachelhalsband der Hundeführer selbst, der ein Verhalten belohnte oder bestrafte.
Dazu kam, dass alle teilnehmenden Hunde und Hundeführer Stachelhalsband und Teletak aus der bisherigen Ausbildung kannten. Es hatte sich hier also schon ein Gewöhnungseffekt eingestellt (leider). Der positive Aufbau eines Abbruchsignals hingegen war für Hund und Mensch der entsprechenden Gruppe neu und die Zeit, zum Lernen relativ kurz. Zudem ist nicht ersichtlich, wie offen die entsprechenden Hundeführer für diesen Ansatz waren und wie das Training durchgeführt wurde.
Auch erlebten diese Hunde plötzlich ein ganz neues Verhalten ihres Menschen – zumindest bei diesem Training. Das verunsichert natürlich erst einmal und nimmt Erwartungssicherheit . Dies kann Stress auslösen, der sich erst nach und nach legt. Das erlebt man ja auch bei den sogenannten Cross-Over Hunden im privaten Bereich.

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Viele Studien bestätigen inzwischen auch, wie viel effektiver und stressfreier ein belohnungsbasiertes Training ist. So wie zum Beispiel diese hier: https://www.companionanimalpsychology.com/2021/08/why-you-need-to-reward-your-dog-in.html
ZITAT: Fakt ist jedoch, dass Hunde es verstehen wenn wir sie anknurren, anstarren, uns groß machen oder mit dem Körper blocken. Hunde verhundlichen ihren Menschen permanent.

Selbstverständlich verstehen sie die aggressiven Signale ihres Menschen. Aber sie verstehen selten, deren Ursache. Denn kein Hund würde einen anderen blocken, nur weil dieser an ihm vorbeiläuft oder sonst ein Verhalten zeigt, was in menschlichen Augen unerwünscht ist.
Dazu kommt: Wie reagiert reagiert die Autorin, wenn Hunde sich auf dieselbe Art verhalten, egal ob ihr oder einem andern Lebewesen gegenüber?
Findet es die Autorin dann auch in Ordnung, weil es hündisch ist? Oder unterbricht sie das Verhalten des Hundes? Was ja durchaus legitim ist, denn diese Art der Auseinandersetzung bedeutet auch immer Stress für alle Beteiligten, es zeigt ja fast immer auch, dass der Hund überfordert ist. Auch das Verletzungsrisiko ist nicht zu unterschätzen, sollte sich daraus ein Kampf entwickeln.
Und damit sind wir dann auch bei der Frage: Müssen wir uns tatsächlich wie Hunde verhalten und eine Sprache benutzen, die wir nur in Ansätzen selbst sprechen können? Wir erreichen doch durch vorausschauendes Planen und Handeln viel schnellere und erst noch viel bessere Resultate, ganz ohne Knurren und Drohen.
Und dank unserer verbalen Sprache haben wir doch noch viel mehr Möglichkeiten, unseren Hunden zu sagen, was wir von ihnen möchten. Siehe dazu auch „Sie kommunizieren wie Hunde„
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Studien zeigen übrigens, dass aversives Verhalten unter Hunden und Wölfen gar nicht so oft vorkommt wie es aufgrund von Medien- und anderen Berichten den Anschein macht. Denn Hunde haben so viele feinere Signale, damit es gar nicht erst zu diesen groben Auseinandersetzungen kommt. Auch suchen sie deutlich mehr freundlichen Kontakt als unnötigen Streit.
Weshalb müssen wir denn gleich den Hammer hervorholen, wenn es doch auch anders geht? Und dabei erst noch zu erwarten, dass unsere Hund uns trotz unserer groben und ungenauen „hündischen Aussprache“ verstehen und auf keinen Fall zurück drohen.
Daher mein Wunsch an dich als Leser: Lern die Sprache deines Hundes zu sehen und verstehen, bleib aber menschlich und empathisch, wenn es um die Ausbildung und Erziehung deines Hundes geht.
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Weitere Links zu diesem Thema:
- Wattebauschwerfer und Gewalt(anwender) – Teil 1
. - Von Superleckerchen und Wattebauschwerfern
. - Ich korrigiere nur!
. - Gutes Training geht besser
© 2021 (Überarbeitet 2024) Monika Oberli, Teamschule.ch












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