Wäre dies nicht der Fall, würden wir heute vermutlich immer noch denken, dass die Erde eine Scheibe ist und sich die Sonne um sie dreht.
Und doch scheinen gerade in der Hundewelt alte Zöpfe lange zu halten. Wie sonst lässt sich erklären, dass im Umgang mit unseren Hund immer noch ganz oft von Rudelhierarchie und dem nach oben strebenden, dominanten Hund die Rede ist. Denn bereits Ende der 90er Jahre widerrief David L. Mech (amerikanischer Verhaltensforscher) seine aus dem Jahre 1970 stammende Theorie des Alphawolfes bzw. -hundes. Wie auch das nachfolgende Video aus dem Jahr 2008 zeigt:

ÜBERSETZUNG DES INHALTS (Video links verlinkt)
Der Begriff „Alpha“ ist bei den meisten Wolfsrudeln nicht wirklich zutreffend, da er impliziert, dass die Wölfe hart um die Spitze des Rudels kämpfen und wetteifern.
Tatsächlich erreichen sie diese Rolle aber, indem sie sich mit einem Mitglied des anderen Geschlechts paaren und eine Menge Nachkommen produzieren, die dann zusammen das Rudel bilden. So werden sie die natürlichen Anführer. Genau wie bei einem Menschenpaar, das eine Familie gründet.
Deshalb verwenden Wissenschaftler heute auch nicht mehr den Begriff „Alphawolf“ bzw. „Alpha-Männchen“ oder „Alpha-Weibchen“ sondern sprechen von ihnen als „Breeding male“ und „breeding female“. Du kannst sie aber ruhig auch Mutter- und Vaterwolf nennen. Daran ist wirklich nichts auszusetzen. Denn es sind viel bessere und genauere Begriffe als der Begriff „Alpha“.
Wissen Sie, eigentlich bin ich schuld daran, dass der Begriff „Alpha“ bei Wölfen überhaupt verwendet wird. Ich habe 1970 ein Buch veröffentlicht, das mittlerweile über 110’000 Exemplare in mehreren Auflagen hat (Anm. „The Wolf: Ecology and Behavior of an Endangered Species“ *). Darin habe ich den obersten Wolf im Rudel als Alpha bezeichnet. Das entsprach dem damaligen Wissenstand. Aber wir haben viel gelernt. Das Buch wurde 1970 veröffentlich und in den 35 Jahren haben wir eine Menge gelernt.
Eines der Dinge ist, dass der Begriff „Alpha“ wirklich falsch ist, wenn wir diesen auf die Mehrheit der Wolfsrudelführer anwenden. Er ist angemessen, wenn wir diesen in einem künstlich zusammengestellten Rudel benutzen, bei dem es sich um eine Ansammlung von nicht verwandten Wölfen und ähnlichem handelt. Hier würde sich eine Rudelordnung oder eine Dominanzhierarchie herausbilden und du könntest die obersten Tiere Alpha nennen. Aber das passiert in der Wildnis selten, wenn es überhaupt je vorkommt. Dies wäre der eine Fall.
Ein anderer Fall ist das, was wir ein komplexes Rudel oder ein Rudel mit mehreren Zuchtweibchen nennen wie im Yellowstone. Dort gab es Rudel mit bis zu 3 Mutterwölfinnen. In diesem Fall könnte man das ranghöchste Weibchen, das normalerweise die Mutter (der anderen) ist „Alphaweibchen“ nennen. Aber wir wissen aus unseren Beobachtungen an Wolfsrudel auf der ganzen Welt, dass dies sehr selten vorkommt.
Dr. David L. Mech, 15.2.2008
* Erstmalig tauchte der Begriff „Alpha“ 1947 in einer Veröffentlichung von Rudolph Schenkel, einem Schweizer Tierverhaltensforscher auf. Dieser beobachtete in den 1930er und 1940er Jahren gefangene Wölfe im Zoo Basel. Noch mehr Beachtung fand der Begriff „Alphawolf“ jedoch als ihn David L. Mech in seinem 1970 erschienen Buch aufführt. Aber auch er beschreibt Beobachtungen die er an Wölfen in einem Naturreservat gemacht hat, welche irgendwo eingefangen wurden. Das heisst, unter ihnen bestanden nicht die verwandtschaftlichen Beziehungen, wie sie in einem richtigen Rudel existieren. Seinen Irrtum erkannte er, als er begann, Wölfe in freier Wildbahn zu beobachten. 1999 (und auch später) widerrief Mech dann die Theorie vom Alphawolf, der sich nach oben gekämpft hat. Auftrieb bekam die Theorie noch einmal in den 80ern Jahren als die Primatologin Jane Goodall den Begriff „Alpha-Male“ für besonders aggressiv agierende Schimpansen-Männchen verwendet.
DAS BILD VOM ALPHAHUND
Aus dieser von Rudolf Schenkel und Dr. David L. Mech geprägten Sicht auf den Wolf entwickelte sich dann auch das Bild des nach oben strebenden Hundes (passend auch zum damaligen Hierarchiedenken).
Obwohl David L. Mech und viele andere Wolfsforscher diesen Irrtum schon längst aufgeklärt haben, gibt es immer noch welche, die daran festhalten. So sind selbst Neuhundehalter nicht davor gefeit, denn noch immer begegnen ihnen diese Theorie nicht nur in Büchern und im Internet. Auch manche Hundeschul-Angebote basieren darauf, und setzen in ihren Trainings auf Kadavergehorsam und Unterordnung wie anno dazumal. Oder es finden sich rangreduzierende Massnahmen, um den Hund auf seinen Platz zu verweisen (oftmals verpackt in „wie die Hunde untereinander“, „Körpersprachliches Führen“…)..
Wie viel Leid dadurch den Hunden in all den Jahren widerfahren ist, mag ich mir gar nicht vorstellen. Und doch ist der Hund trotz aller Widrigkeiten an der Seite seines Menschen geblieben.
Aber schön ist, dass es immer mehr Hundehalter und Trainer sind, die dem abschwören und den Hund als Lebewesen mit eigenen Bedürfnissen und eigener Sprache wahrnehmen. Ihn als Familienmitglied in ihr Leben aufnehmen, ihn beschützen und sorgsam auf das Leben mit seinen Anforderungen vorbereiten. Und die auch wissen, dass er auch dann keinerlei Machtansprüche stellt, wenn er auf Bett und Sofa darf.
SEI DEINEM HUND EIN VERLÄSSLICHER PARTNER
Achte seine Bedürfnisse und Wünsche und lass dir nicht einreden dein Hund sei dominant, nur weil er deine Nähe sucht oder einen anderen Hund verbellt. Denn das macht er nicht gegen dich, sondern ihm ist es wichtig und entspringt seinem eigenen Bedürfnis.
Und es macht in der Hundewelt auch wenig Sinn, den Hund körpersprachlich zu blockieren, damit er an der Leine neben dir geht – das findet sich nirgendwo unter Hunden. Ebenso wenig würde ein Hund einen anderen massregeln, wenn dieser einem Hasen nachrennt oder ihn dafür bestrafen, dass er andere Hunde vertreibt. In einer Gefahrensituation kann das schon mal anders aussehen und ein Hund einen anderen ausbremsen. Aber das ist nicht der Normalfall. Und wir haben andere und bessere Möglichkeiten, unseren Hunden das Gewünschte beizubringen als über Zwang und Einschüchterung.
Auch das Isolieren, Ignorieren und Ausgrenzen kommt in der Hundewelt nicht vor. Im Gegenteil, man achtet aufeinander und kein Tier wird alleine irgendwo zurückgelassen. Selbst ein Tier, welches verletzt ist, wird weiter versorgt. Denn alles andere wäre meist der sichere Tod in der Wildnis.
Knurrt dein Hund dich trotzdem irgendwann an, ist Ursachenforschung statt Etikettierung angesagt. Denn kein Hund macht diese aus einem Machtgefühl heraus. Vielmehr können eigene Bedürfnisse, Unsicherheit, Unwohlsein oder auch Schmerzen dahinter stecken. An letzteres ist insbesondere zu denken, wenn es plötzlich und vermeintlich aus dem Nichts heraus kommt.
© 2022 Monika Oberli – Teamschule.ch