Die Eskalationsleiter des Hundes

…mein Hund hat ohne Vorwarnung gebissen

Stimmt diese Aussage wirklich? 

Fast immer müsste die Antwort „Nein“ lauten. Ein Hund zeigt in der Regel nämlich schon lange vorher ganz viele Signale bevor er zu Knurren, Schnappen oder gar Beissen greift.

Weil die ersteren aber so fein und leise sind, werden diese Zeichen von seinem Menschen meist nicht oder zu spät wahrgenommen. Erst wenn der Hund laut und heftiger wird, realisiert er, dass sein Hund auf etwas in seiner Umgebung reagiert und agiert dann auf dessen Verhalten… leider meist indem er dieses mittels „Nein“, „Aus“ oder Strafe zu stoppen versucht.

In der nachfolgenden Grafik ist die reichhaltige Palette an Ausdrucksverhalten unserer Hunde zu sehen, die sie lange vorher zeigen, bevor sie in ihrer Kommunikation deutlicher werden müssen. Und bis sie zum letzten Mittel greifen, haben sie meist schon viele Stufen der Eskalation erklommen (von grün = alles entspannt bis hin zu dunkelrot = Eskalation).

eskalation.pngJe nach Lernerfahrung, Hundetyp und Persönlichkeit werden die einzelnen Stufen unterschiedlich lange gezeigt. Einige Stufen der Eskalationsleiter können aber auch übersprungen werden – abhängig davon, ob der Hund schon erfahren hat, dass ihm diese nichts nutzen.

Einzig wenn einem Hund seine Warnsignale (bewusst oder unbewusst) abtrainiert werden, verzichtet er irgendwann auf diese…entweder aus Angst, dafür bestraft zu werden oder weil er gelernt hat, dass er damit nichts verändern kann.

Seine negativen Emotionen der Situation gegenüber haben sich deswegen aber nicht verändert. Im Gegenteil, sie werden noch schlimmer, denn nun fühlt er sich auch noch durch die Verbote seines Besitzers unter Druck gesetzt.

Trotzdem wünschen sich viele Menschen einen Hund, der nie knurrt und mit allen Hunden und Situationen klar kommt. Leider ist das nicht realistisch. Denn genau so wenig, wie ein Mensch immer nur nett, hilfsbereit und freundlich ist, ist dies ein Hund. Und weshalb soll er nicht wie wir sagen dürfen, dass er sich bei dem das was gerade passiert, nicht wohl fühlt und Nein dazu sagen dürfen – einfach auf hündisch?

Es wäre unfair gegenüber deinem Hund, zu erwarten, dass er einfach jede Situation aushalten oder sogar erdulden muss, ohne sich dazu äussern zu dürfen. Aber leider sieht man viel zu oft Menschen, die dies als böse erachten und deshalb ihren Hund tadeln, wenn er einen anderen Hund, Menschen oder gar sie selbst anknurrt. Und es finden sich auch noch genügend Trainer, die genau dies empfehlen, denn „dein Hund hat nicht zu knurren, schon gar nicht dir gegenüber“.

Und was ist mit all den unzähligen „herzigen Videos“, in denen Kinder Hunde umarmen und herzen und Alle es lustig finden, wenn der Hund die Lefzen hebt oder die Zähne zeigt. Genau solange bis er knurrt oder gar nach dem Kind schnappt, damit dieses Bedrängen aufhört. Dann ist der Hund der Böse, denn „das Kind meinte es ja nur lieb.“

Da dieses Thema nicht in ein oder zwei Sätzen abgehandelt ist, findest du unter „Knurrende Hunde“ einen ausführlicheren Artikel dazu.

Wichtig deshalb: Zeigt dein Hund eines der Verhalten aus dem Droh- und Warnbereich, dann bestrafe ihn nicht dafür, auch nicht mit einem lauten „Lass das“. 

Sei vielmehr dankbar dafür, dass dein Hund so nett sagt, dass es ihm zu viel, zu nah, zu schmerzhaft, zu beängstigend ist... und sorge dafür, dass das was dazu geführt hat, nett beendet wird. War die Ursache etwas, was wichtig ist wie Körperpflege, mal Festgehalten werden, dann übe dieses mit ihm in kleinen Schritten, so dass dein Hund lernt, es auszuhalten oder besser noch, sich dabei wohlzufühlen.

Du kannst deinem Hund helfen, die verlernten Signale wieder zu erlernen und in den jeweiligen Situationen zu benutzen. Idealerweise mit Unterstützung eines kompetenten Hundetrainers. Denn der kann dir Signale und die Sprache deines Hundes erklären und dich im Training unterstützen.

Mein erster Hund aus dem Tierschutz war in manchen Hundebegegnungen überfordert und hatte in seinen ersten 7 Jahren anscheinend gelernt, dass Flucht das beste Mittel dagegen ist. Deshalb habe ich für viele gute Situationen gesorgt. Und sobald er die ersten Beschwichtungszeichen gezeigt hat, habe ich ihn dafür gelobt und ihn unterstützt. Leider hatte er anscheinend auch schlechte Erfahrungen mit dem Halsband gemacht, und schnappte alle ausser uns ab, wenn er befürchtete, sie könnten nach seinem Halsband greifen. Für diese Situationen habe ich ihm beigebracht, dass er sich einfach entfernen und zu mir kommen kann.

Und auch zwei meiner Australian Shepherds, bei denen einer bei manchen Hunden auf Abwehr setzte, und der andere, der aus Angst auf Menschen losging, lernten, dass feine Signale reichen und auch, dass sie bessere Alternativen haben. Dadurch wurden sie nicht nur entspannter, sondern auch deutlich toleranter.

Beachte auch: Je weiter oben der Hund sich in der Eskalationsleiter befindet, desto weniger wird er noch bewusst handeln können. Denn Stress und Angst überwiegen und er reagiert nur noch.

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© 2015 (Überarbeitung 2024) – Teamschule – Monika Oberli

22 Gedanken zu “Die Eskalationsleiter des Hundes

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  13. Toller Artikel, der mir wieder einmal bestätigt, dass ein Hund sehr wohl auch einmal knurren darf. Meinem 12 jährigen Rüden wurde das abtrainiert, so dass er nach einer gefühlten halben Sekunde des Einfrierens ohne weitere Vorwarnung zubeisst. Leider hab ich es auch in den 11 Jahren, in denen er bei mir lebt nicht geschafft, ihm das nötige Vertrauen in die Menschen wieder zu geben.

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  14. Hoffe nur das alle die den Hundebesuchsdienst in Kindergärten, Schulen und Seniorenheimen leisten, die Eskalationsleiter ihres eigenen Hundes kennen!

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  15. Vielen Dank für den Feedback. Ja, es gibt leider immer noch Hundebesitzer, welche sich zu wenig mit der Sprache ihrer Hunde auseinander setzen. In meinen Vorträgen zur hündischen Kommunikation habe ich aber immer viele interessierte Hundehalter, welche danach ihre und auch die fremden Hunde noch viel aufmerksamer wahrnehmen und verstehen, was ihnen diese sagen,

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  16. Wunderbarer Artikel. Jeder Hundebesitzer sollte die Leiter aus dem FF kennen und wissen, welche Verhaltensweisen sein Hund zu welchem Zeitpunkt zeigt. Leider ist das viel zu selten der Fall – Der tut nix, der will nur spielen 😜😜😜

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