Wie der Hund dominant (gemacht) wurde

Wer kennt nicht die Geschichten vom Alphahund, der permanent die Führung seines Menschen hinterfragt?

DIE MÄR VOM ALPHAWOLF
Als man begann sich für das Verhalten von Wölfen zu interessieren, steckte die Freilandforschung noch in den Kinderschuhen. Was lag da näher als dieses an den Tieren zu beobachten, die in Gefangenschaft lebten. Dies in der Annahme, daraus mehr über das Verhalten von freilebenden Wölfen und seinem Verwandten dem Haushunden zu erfahren.

Wenn man jedoch weiss, wie die Tiere in Zoos damals gehalten wurden, war klar, dass die Tiere so gar kein natürliches Sozialleben entwickeln konnten. Viel zu eng und trostlos waren die Käfige und ohne Rückzugsmöglichkeit vor den neugierigen Blicken der Besucher. Hinzu kam, dass die früheren Wolfsgruppen zufällig zusammengewürfelt wurden, indem man Jungwölfe einfing. Diese waren viel zu jung, um schon ohne Anleitung von erwachsenen Wölfen zu leben, dazu kamen sie oft aus unterschiedlichen Rudeln, so dass keinerlei verwandtschaftlichen Beziehungen bestanden. Da ist es nicht erstaunlich, dass es auf dem engen Raum zu Streitigkeiten um Futter, Plätze und Sexualpartner kam. Das ginge uns bestimmt nicht anders.

Leider entstand aus diesen Beobachtungen trotz der schlechten Ausgangslage das Bild des blutrünstigen Wolfes, der nach der Alpharolle strebt und sich nicht scheut, diese auch mit aggressiven Mitteln durchzusetzen. Und obwohl dieses Bild schon dem Wolf nicht gerecht wurde, wurde es auch auf den Hund übertragen. Dass es dazu kam, hatte bestimmt auch mit dem damaligen Weltbild und den patriacharlischen Familienverhältnissen zu tun.

AUSWIRKUNGEN AUF DEN UMGANG MIT DEM HUND
Diese Übertragung beeinflusste aber nicht nur den privaten Umgang mit den Hunden, sie zeigten auch deutlichen Einfluss auf die damals aufkommende Hundeausbildung und -erziehung.

So war dann auch das erste bekannte Buch* zur Ausbildung und Erziehung von Hunden stark von dem nach Macht strebenden Hund und dem daraus resultierenden strengen Umgang geprägt, bei dem Unterordnung und Gehorsam im Vordergrund standen. Was sich auch in der Wortwahl widerspiegelte: Zucht und Ordnung, Befehl, Kommando, Unterwerfung, Alpharolle und anderes mehr.

* „Wie Sie der beste Freund Ihres Hundes werden – Die sanfte Methode des Hundetrainings“ von den Mönchen von New Skete (1978) . Leider ist der Titel mehr als irreführend, denn darin wird das Schütteln des Hundes genau so propagiert wie Schläge und Leinenrucks

Schlimm ist, dass auch heute noch Menschen und Trainer immer noch an diesem Bild festhalten. Dabei hat David L. Mech, der mit seinem Buch massgeblich zum Bild des Alphawolfes/-hundes beigetragen hat, dieses bereits 1999 widerrufen, als es sie sich als falsch herausstellte.

Und so hört man auch heute noch auf viel zu vielen Hundeplätzen „Kommandos“ in Kasernenhof-Lautstärke und -Schärfe. Oder man beobachtet Leinenrucks, Einschüchterung und Schlimmeres, wenn der Hund nicht das Erwünschte tut.

Auch mancher Erziehungstipp, der zu Rangreduktion und Gehorsam in (fast) jeder Lebenslage führen soll, basiert noch auf diesen veralteten Ansichten. Dazu aber in einem anderen Artikel mehr.

DER WOLF – EIN FAMILIENWESEN
Als man jedoch begann den Wolf in Freiheit zu beobachten, bekam das Bild vom Alphawolf und der daraus resultierenden starren Rangordnung im Wolfsrudel schon bald die ersten Risse. Und es wurde immer klarer, dass man jahrelang einem Mythos aufgesessen ist.

Und man sah, dass die in Freiheit geborenen Wölfe wie wir in Familienverbänden leben, die aus Mutter, Vater und ihren Kindern in unterschiedlichem Alter bestehen. Und wie es in harmonischen Familien die Regel ist, beobachtete man so auch viel mehr soziopositives und altruistisches (uneigennütziges) Verhalten denn aggressives. Es macht biologisch ja auch wenig Sinn, seinen eigenen Nachwuchs hungern zu lassen oder gar in unnötigen Rangordnungskämpfen zu verletzen.

Selbst die Behauptung, dass verletzte Tiere im Stich oder gar getötet werden, stellte sich bald als Mär heraus. Denn mehr als einmal wurde beobachtete, wie verletzte Wölfe vom Rudel mit Nahrung versorgt wurden und dass bei Nahrungsknappheit zumindest die Welpen ausreichend zu fressen bekamen.

Auch unter Geschwistern kam es zu keiner Rivalität, da die meisten Wölfe mit zwei Jahren abwandern um ein eigenes Rudel zu gründen. Und so als Elterntiere automatisch zum Oberhaupt von diesem wurden.

AUCH DER HUND STREBT NACH SICHERHEIT UND NICHT MACHT
Die wenigsten unserer Hunde leben noch in Rudeln, da diese laut Definition nur aus verwandten Tieren bestehen. Haushunde leben höchstens in Gruppen oder sind mit befreundeten Hunden unterwegs. Mit fremden Hunden bilden sie aber weder das eine noch das andere. Und natürlich kann es auch in diesen Gruppen dazu kommen, dass ein Hund etwas mehr zu sagen hat, als ein anderer – dies aber meist abhängig von Situation und Gegenüber (siehe dazu auch, der situativ dominante Hund).

Die meisten Hunde sind auch einfach froh, wenn sie nicht in unnötige Streitigkeiten hineingezogen werden und sie versuchen auch nicht, uns unsere Führung aus der Hand zu nehmen. Und wenn sie ihren Unwillen kundtun, dann geht es meist um eine Ressource oder um ihr eigenes Sicherheitsgefühl.

Wie tolerant Hunde selbst den Menschen und Trainern gegenüber sind, die sie schlecht und unfair behandeln, zeigen die vielen Beispiele aversiv arbeitender Hundehalter und Trainer. Wie einfach wäre es da doch für den Hund, auf deren unfaires und aggressives Verhalten mit gleicher Aggressivität zu antworten. Stattdessen zeigen sie aber selbst in diesen Momenten noch deeskalierende Signale, um das Gegenüber friedlich zu stimmen. Schade nur, dass diese dann oft von ihren Menschen nicht verstanden werden, so dass der Hund irgendwann vielleicht keine andere Möglichkeit mehr sieht, als sich zu seinem eigenen Schutz zu wehren.

Auch wenn all dies schon lange bekannt und in unzähligen Dokumenten und Studien publiziert ist, geistert das Bild des Alphawolfes/-hundes immer noch die Welt.
Zu tief sitzt teilweise noch die Angst, der Hund könnte sonst das Leben des Menschen dominieren. Und leider wird von vielen Trainern dieses Bild immer noch bewusst aufrecht erhalten.
Damit rechtfertigen sie ihr eigenes Training, welches teils mit sehr viel Aggressivität und Druck einhergeht. Selbst wenn sie wissen, dass diese Begründung wissenschaftlich nicht mehr haltbar ist.

DER HUND VERHÄLT SICH ANDERS ALS DU MÖCHTEST
Ganz oft müssen wir uns selbst an der Nase nehmen, da wir es versäumt haben, unserem Hund das erwünschte Verhalten für diese spezifische Situation beizubringen. Oder aber wir bringen ihn in Situationen, die er (noch) gar nicht bewältigen kann.

Deshalb lasst es uns mit diesem neuen Wissen besser machen und unsere Hunde so behandeln, wie sie es verdienen: Fair, achtsam und als fühlende und denkende Lebewesen mit eigenen Bedürfnissen und Gefühlen, die den unseren sehr ähnlich sind. Und sie so anzuleiten und zu erziehen, dass sie weder für sich und andere eine Gefahr darstellen – und das geht ganz ohne Gewalt und Druck.

Weiterführende Artikel zu diesem Thema: Alles eine Frage der Dominanz

© 2024 Monika Oberli, Teamschule

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