Im Gegensatz zur situativen Dominanz, welche kurzzeitig zwischen zwei beliebigen Lebewesen auftritt, existiert die formale Dominanz (auch soziale Dominanz) nur in festen, in der Regel zusammenlebenden Gruppen und Familienverbänden.
Bevor wir uns mit der formalen Dominanz bei unseren Haus- und Famlienhunden beschäftigen, schauen wir uns doch erst einmal ein wildlebendes Hunde- oder Wolfsrudel an. Dabei stellen wir fest, dass dieses ähnlich wie eine Menschenfamilie strukturiert ist. Denn auch hier leben die Elterntiere mit ihrem Nachwuchs zusammen, bis diese flügge sind und die Familie verlassen. Und wie bei uns sind es die Elterntiere, die aufgrund ihrer Erfahrung wichtige Entscheidungen treffen und massgeblich für die Sicherheit und das Wohlergehen der Gruppe zuständig sind.
Das tun sie aber nicht einem Despoten gleich, der über die Gruppe herrscht und jeden und Alles dominiert. Und es ist auch nicht der viel zitierte Alphawolf, der die anderen massregelt, sie auf den Rücken dreht und sich Alles nimmt, wenn ihm danach ist.
Im Gegenteil: Der für die Gruppe Verantwortliche wirkt meist fürsorglich und ausgleichend. Er muss in einem Spiel auch nicht immer der Gewinner sein, sondern kann auch einfach mal ausgelassen und zweckfrei mit seinem Nachwuchs oder einem Gegenstand spielen. Nur wenn es um absolut wichtige Dinge oder um die Sicherheit der Gruppe geht, setzt er sich wenn nötig durch. Und natürlich agiert er auch mal situativ dominant und fordert etwas für sich oder verbietet sich ein Verhalten seines Nachwuchses.
WER ETWAS BESITZT, HAT AUCH DAS RECHT ES ZU VERTEIDIGEN
Gerade beim Fressen gilt unter Wölfen: Wer etwas hat, dem gehört es auch und er darf es gegen alle Anderen verteidigen. Auch wird ein verletzter erwachsener Wolf – nicht wie früher behauptet – aus der Gruppe verstossen, weil er nichts mehr wert ist, sondern wird weiterhin mit Nahrung versorgt – sein eigen Fleisch und Blut lässt man nicht verhungern
Auch wenn wir unsere Hunde nicht 1:1 zu mit dem Wolf vergleichen können, so gilt auch für ihn, dass er sich nicht einfach alles wegnehmen lassen muss, nur weil es sein Mensch will.
Entsprechende Ratschläge haben leider schon zu manch vermeidbarem Leid geführt – auf beiden Seiten. Natürlich kann die Wegnahme einer Ressource zu seiner oder anderer Sicherheit im Notfall mal notwendig sein – dies dann aber bitte vorgängig gut und fair trainiert.
MERKMALE DER FORMALEN DOMINANZ
Im Gegensatz zur situativen Dominant lässt sich die formale Langzeitdominanz daher auch nur durch das längere Beobachten einer Gruppe feststellen.
Mit das wichtigste Merkmale der formalen, auch sozial genannten Langzeitdominanz, ist sicherlich, dass der Dominante regelmässig und vorhersagbar das Geschick der Gruppe bestimmt. Und dass die anderen sich gerne in seiner Nähe aufhalten und ihm folgen – aber nicht weil sie müssen, sondern weil sie sich bei ihm wohlfühlen.
Daher ist es auch nicht so, dass der formal Dominante seine Wünsche mit Gewalt durchsetzt, vielmehr zeigen die Anderen durch ihr Verhalten, dass sie die Vorherrschaft des Gegenüber anerkennen. In der Regel überlassen sie ihm auch gerne die verantwortungsvolleren Aufgaben. Denn Führen und Entscheidungen treffen ist nicht nur angenehm. Führen heisst auch Verantwortung zu übernehmen, für Andere einzustehen und für deren Schutz zu sorgen.
Bei der formalen Dominanz ist nicht derjenige der Überlegene, welcher am lautesten und heftigsten agiert, sondern derjenige, welcher in der Regel still und unauffällig seine Privilegien durchsetzt und dem die anderen gerne folgen.
SOZIOGRAMM
Mittels Soziogrammen können die Beziehungen innerhalb einer Gruppe bildlich festhalten werden. Dabei geben Pfeilrichtung und -dicke an, wer mit wem wie oft in Kontakt tritt und auch in welcher Form dies geschieht (wie soziopositiv, aversiv…)
EINMAL DOMINANT, IMMER DOMINANT?
Ein formal dominanter Hund wird auch nicht permanent auf seine Privilegien bestehen, sondern kann auch mal Fünfe gerade sein lassen und mischt sich auch nicht in Jedes und Alles ein. Er verliert dadurch weder an Ansehen noch seine Position in der Gruppe. Wenn er aber etwas entscheidet, wird es von den Anderen in der Regel auch akzeptiert.
Eine formale Dominanz ist auch nicht zwingend mit irgendeiner Rangordnung gekoppelt. Je nach Ort und Situation kann sogar ein anderes Tier die Führung übernehmen. Von den Wölfen weiss man zum Beispiel, dass bei der Höhle meist das Weibchen diesen Part inne hat, während es auf den Streifzügen und der Jagd in der Regel der Rüde ist. Oder wenn im Tiefschnee die kräftigeren Jungwölfe in bekannten Gebieten den Weg bahnen.
Auch wir kennen doch die informellen Führer einer Gruppe. Dies sind all jene, an die wir uns bei Problemen oder Gefahr wenden, auch wenn sie diese Position offiziell nicht inne haben. Oder wie der Bergführer am Berg, welcher der noch so hochgestellten Persönlichkeiten sagt, wie sie sich zu verhalten hat.
Und nicht Alles, was wir als erstrebenswert erachten, ist es auch für unsere Hunde. Manchen ist der Liegeplatz wichtig, während dies anderen völlig schnuppe ist und wer zuerst aus der Türe darf ist den meisten egal.
MENSCH, HUND UND DIE DOMINANZ

Auch wenn wir keine Rangordnung mit unserem Hund ausbilden, bestimmen wir doch so viel in seinem Leben, dass wir durchaus eine sehr dominante Rolle in seinem Alltag spielen.
Dies alleine zeigt schon, dass der Mensch der Bestimmende ist. Tut er dies fair und klar und ist auch für das Wohlergehen besorgt, fügen sich die Hunde dem gerne – ohne dass der Mensch Druck oder Strafe anwenden muss.
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Und es trachtet auch kein Hund nach der Übernahme der Weltherrschaft oder auch nur der Herrschaft über die Familie. Wieso sollte erauch, wenn so gut für ihn gesorgt wird? Ebenso ist schon längst belegt, dass zwischen artfremden Lebewesen keine Rangordnung ausgebildet wird. Denn diese gibt es nur unter Seinesgleichen, da hier der Hauptzweck die Weitergabe der eigenen Gene ist.
Deshalb brauchst du auch keine künstliche Regeln aufzustellen, um deinem Hund zu beweisen, dass du das Sagen hast. Freu dich vielmehr darüber, dass dich dein Hund beim Nachhause kommen begrüsst. Und lass ihn auch öfters mal selbständige Entscheidungen treffen, z.B. welcher Kauknochen er möchte oder welchen Spazierweg er heute wählt. Dies stärkt eure Bindung genauso wie das gemeinsame Spiel, bei dem beide Sieger und Verlierer sein dürfen.
Deshalb schick auch Regeln wie die folgenden getrost ins Pfefferland:
- du musst IMMER VOR deinem Hund essen
- dein Hund darf NIE vor dir durch die Tür gehen
- dein Hund darf NIE auf das Sofa oder Bett springen
- du musst deinen Hund ignorieren, wenn ER deine Aufmerksamkeit von dir möchte
- dein Hund MUSS auf dem Spazi hinter dir laufen
Denn dies macht aus deinem vierbeinigen Freund weder einen gehorsameren Hund noch dich zu einem besseren Hundehalter und schon gar nicht zum viel beschworenen Rudelführer.
Situativ können solche Regeln natürlich durchaus richtig sein. Dann aber dienen sie der Sicherheit oder weil es an diesem Ort/zu dieser Zeit gerade wichtig ist und nicht weil wir es einfach so wollen.
Zur Beziehung zwischen Mensch und Hund gehört aber nicht nur, dass der Mensch wichtige Entscheidungen trifft. Eine gute Beziehung beinhaltet auch, dass der Mensch gut für seinen Hund sorgt, auf dessen Bedürfnisse achtet und seine eigenen ihm zuliebe auch mal zurücksteckt. Auch steht er ihm in schwierigen Situationen zur Seite und schützt ihn vor Gefahren. Denn auch hier gilt, Führen hat nicht immer nur angenehme Seiten.
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© 2021 (überarbeitet 2023) – Teamschule – Monika Oberli











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