Alles eine Frage der Dominanz

Dominanz – ein Verhalten das Hunden gern nachgesagt wird. Aber was ist wirklich dran, am dominanten Hund? Und nutzt uns dieser Begriff tatsächlich etwas für Alltag und Training?

Was wird dem Hund unter dem Deckmantel der Dominanz nicht alles unterstellt. Er ist dominant:

  • Er hört nicht auf deine Signale
  • Er will sein Spielzeug nicht ausgeben
  • Er rennt als erstes durch die Tür
  • Er springt seinen Besitzer an
  • Er bellt bei jedem anderen Hund
  • Er vertreibt andere Hunde
  • Er liegt auf dem Sofa

Dann sind die Erziehungsratschläge schnell zur Hand, die besagen: Der Hund muss lernen, wo sein Platz in der Rangordnung ist und schon sind alle Probleme gelöst. Wäre das nicht schön? Denn dann musst du dir keine Gedanken zum Training machen und schon gar nicht deine eigenen Erwartungen ändern.

DOMINANZ – EIN WISSENSCHAFTLICHER BEGRIFF

Das Wort sagt erst einmal ganz einfach, das Jemand oder Etwas in dem Augenblick vorherrschend ist. vorherrscht, ohne dass er dies bewusst tut oder einverlangt. Das Dominierende kann dabei ein Duft, eine Farbe oder die Persönlichkeit eines Menschen oder Hundes sein.

Wir müssen uns aber auch bewusst sein, dass es sich bei der „Dominanz“ um einen wissenschaftlichen Begriff handelt, der uns im Alltag wenig hilft. Zumal jedes Fachgebiet anders an diesen Begriff herangeht. Und noch viel schlimmer ist, dass Hunden unter dem Deckmantel der Dominanz schon viel Unschönes angetan wurde:

Die Dominanztheorie ist wahrscheinlich die am häufigsten missverstandene, allgemein angewandte Verhaltenstheorie im Bereich des Hundeverhaltens. Sie wurde in der Vergangenheit entwickelt, um das Sozialverhalten von Hühnern zu erklären und vorherzusagen*. Dann wurde diese Theorie auf andere Tierarten ausgeweitet, einschliesslich eines nahen Verwandten des Hundes, dem Wolf. (James O’Heare – Die Dominanztheorie bei Hunden).
* Dies war 1922, jedoch bereits 1802 wurde das erste Mal eine Rangordnung bei Hummeln beschrieben.

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Szene aus einer Spielsequenz

Das führt bis heute dazu, dass das Wort „Dominanz“ wie ein Damoklesschwert über vielen Hundehaltern schwebt. Denn wer möchte schon einen Hund, der ihn dominiert und im schlimmsten Fall nicht mehr aufs Bett oder Sofa lässt. Und so wurden Erziehungstipps entwickelt,, welche zu einer ungerechten und sehr oft aversiven Behandlung und Erziehung führte.

Dabei zeigen entsprechende Studien schon längst, dass Erziehungsmodelle, welche den vermeintlich „dominanten“ Hund an seinen Platz verweisen wollen, sein Verhalten meist noch verschlimmern. Vielleicht nicht unmittelbar aber irgendwann wird sich ein „gedeckeltes“ Verhalten, Luft verschaffen.

Auch ist längst erwiesen, dass in Hunderudeln im Gegensatz zu Primatengruppen, keine hierarchischen Strukturen gelebt werden. Vielmehr sind diese in Familienstrukturen organisiert, in denen die Elterntiere die wichtigsten Entscheidungen treffen.

DOMINANZ  BESCHREIBT KEINEN CHARAKTER

Das dominante Lebewesen gibt es nicht. Denn das gleiche Lebewesen kann je nach Situation und Gegenüber einmal sehr präsent auftreten und sich das nächste Mal zurücknehmen und unscheinbar wirken.

Deshalb handelt es sich dabei einfach um eine wissenschaftlichen Definition, um das Verhalten zwischen zwei oder mehr Lebewesen in der augenblicklichen Situation und in Langzeitbeziehungen zu beschreiben.

Verhaltensebene: Somit gehören zu einer Dominanzbeziehung immer mindestens zwei: Einer der dominiert und der andere, der sich dominieren lässt. (G. Bloch, E. H. Radinger – Wölfisch für Hundehalter)

Beziehungsebene: „Tiere, die regelmässig mit denselben Artgenossen um Ressourcen (soziale Zuwendung, Futter, Liegeplätze, Sexualpartner etc.) konkurrieren, können untereinander Dominanzbeziehungen ausbilden. Soziale Dominanz ist EIN Aspekt einer sozialen innerartlichen Beziehung! (Dr. Ute Blaschke-Berthold)

Spricht man von Dominanz, muss man daher auch immer zwischen einer situativen, das heisst aktuell ausgeübten, sowie der sozialen, auf Langzeitbeziehungen ausgerichteten Dominanz, unterscheiden.

Ein weiteres Missverständnis des Dominanzkonzepts beruht darauf, dass Dominanzbeziehungen oftmals auf zwei unterschiedlichen Ebenen angetroffen werden: Da gibt es zum einen die formale Langzeitdominanz, oft auch als soziale Dominanz bezeichnet (Udo Ganslosser, Sophie Strodtbeck)
(… sowie die situative Dominanz).

SO KAM ES ZUM BILD DES DOMINANTEN HUNDES

Als die Freilandforschung noch in den Kinderschuhen steckte, wurde das Wolfsverhalten meist nur bei in Gefangenschaft lebenden Wölfe beobachtet. Dabei handelte es sich aber um wild zusammengewürfelt Gruppen, die in keinerlei verwandtschaftlichen Beziehungen standen und zudem noch in engen wenig abwechslungsreichen Käfigen sassen. Kein Wunder, dass es da zu Streitigkeiten um Futter, Plätze oder aus Stress kam. Das ginge uns bestimmt nicht anders.

Dem Hund, als nahen Verwandten, wurde dann einfach dieses Bild übergestülpt. Zudem geschah dies zu einer Zeit, als das Weltbild und auch die Familienverhältnisse noch ganz anders waren.

Auch die Hundeausbildung sah zu dem Zeitpunkt noch ganz anders aus. Das erste bekannte Buch zu diesem Thema, war dann auch noch stark von den nach Macht strebenden Hunden und militärischem Umgang geprägt („Wie Sie der beste Freund Ihres Hundes werden – Die sanfte Methode des Hundetrainings“ geschrieben 1978 von den Mönchen von New Skete. Leider ist der Titel mehr als irreführend, denn darin wird das Schütteln des Hundes genau so propagiert wie Schläge und Leinenrucks.). Was sich zum Teil leider noch bis heute auswirkt.

DER WOLF – EIN FAMILIENWESEN

Aber gottseidank zeigen spätere Forschungen an freilebenden Wölfe, dass diese in ähnlichen Familienverbänden leben wie wir. Und dass sie deshalb viel mehr soziopositives und altruistisches (uneigennütziges) denn aggressives Verhalten zeigen. Es macht ja auch biologisch wenig Sinn, seinen eigenen Nachwuchs hungern zu lassen oder zu verletzen.

Auch wenn dies alles schon lange bekannt und in unzähligen Dokumenten publiziert ist, existiert das andere Bild leider bis heute. Zu tief sitzt teilweise noch die Angst, der Hund könnte sonst seinen Menschen dominieren. Leider wird von manchen dieses Bild immer noch bewusst aufrecht erhalten. Damit rechtfertigen sie ihr eigenes Training, welches teils mit sehr viel Aggressivität und Druck einhergeht. Selbst wenn sie wissen, dass diese Begründung wissenschaftlich nicht mehr haltbar ist.

DER HUND VERHÄLT SICH ABER ANDERS ALS DU MÖCHTEST

Ganz oft müssen wir uns selbst an der Nase nehmen, da wir es versäumt haben, unserem Hund das erwünschte Verhalten für alle möglichen Gegebenheiten beizubringen. Und bringen ihn dann in Situationen, die er noch gar nicht zu leisten vermag.

Deshalb lasst es uns mit diesem neuen Wissen besser machen und unsere Hunde endlich so behandeln wie sie es verdienen: Fair, achtsam und als fühlende und denkende Lebewesen mit eigenen Bedürfnissen und Gefühlen, die den unseren sehr ähnlich sind.

MEIN HUND IST STARK

Solltest du wirklich einen mental starken Hund an deiner Seite haben, ist es dann richtig, ihm diese Stärke mittels Druck und Zwang austreiben zu wollen?

Ich sage nein. Denn als Mensch sollte ich doch in der Lage sein, einen Hund durch Übernahme von Verantwortung, viel gemeinsamer Wohlfühlzeiten und einem gut durchdachten Training zur Kooperation zu motivieren, ohne dass ich ihn und seinen Charakter verändern muss.

Zudem hat ein Hund auch das Recht „Nein“ zu sagen, oder seine Bedürfnisse über die der unseren zu stellen.

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© 2016 (überarbeitet 2021) – Teamschule – Monika Oberli

6 Gedanken zu “Alles eine Frage der Dominanz

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