Beim Lesen des Artikels «Aversiv vs. Positiv – eine kurze Erklärung» von G. F G in der „Welt der Tiere“ 3/23 und in einem Beitrag auf ihrer Facebookseite mit gleichem Inhalt sind mir diverse Punkte ins Auge gefallen, von denen ich einige im Nachfolgenden aufgreifen möchte.
In diesen Beiträgen geht es um eine Gegenüberstellung von zwei unterschiedlichen Trainingsphilosophien. Eine die davon ausgeht, dass bei manchen Hunden ein Training notwendig ist, bei dem nicht auf ein unangenehmes, korrigierendes Einwirken verzichtet werden kann. Und jenem Trainingsansatz, welcher auf die bewusste Nutzung von aversiven Werkzeugen verzichtet und stattdessen auf freudige Motivation und Belohnungen setzt. Ein Ansatz, welche die Autorin nur bei einfach zu handhabenden Hunden und für das Basistraining als geeignet erachtet.
Zitat: Aversiv versus positiv
Als erstes fällt gleich der Titel ins Auge, mit dem ausgesagt werden soll, dass aversives Training das Gegenteil von einem positiven Training ist.
Schaut man sich jedoch die Lerntheorie an, auf die sich die Autorin bezieht, und dabei im speziellen die operante Konditionierung, dann wird schnell klar, dass positiv nicht wertend gemeint ist, sondern rein mathematisch. Und dass in dieser der Begriff „Positiv“ sowohl beim Training mit Belohnungen als auch bei jenem mit Strafen aufgeführt ist.
Lerntheoretisch ist es daher nicht korrekt vom positiven Training zu sprechen, wenn damit nur eine Seite gemeint ist. Zumal der Begriff viel zu unpräzise ist, da es ein rein positives Training nicht gibt. Aber es ist eines, welches auf den bewussten Einsatz von unangenehmen Einwirkungen verzichtet.
Richtigerweise müsste der Titel daher wie folgt lauten: Aversiv (Ablehnung/Widerwillen hervorrufend) versus affirmativ (Bejahend/Bestätigend)
Und so ist auch „ein belohnungsbasiertes und bedürfnisorientiertes Training“ eine viel passendere Beschreibung für das, was sie als positives Hundetraining bezeichnet.
Zitat: Unerwünschtes Verhalten wird beim positiven Hundetraining ignoriert oder umgelenkt
Diese Aussage begegnet uns immer wieder, wenn es um das positiv verstärkende Training geht. Dadurch macht es diese Behauptung aber nicht wahrer. Im Gegenteil: Die verstärkende Trainingsphilosophie setzt wenn immer möglich vor dem unerwünschten Verhalten an, so dass es gar nicht erst dazu kommt. Denn jede Ausführung trainiert und verstärkt auch wieder das unerwünschte Verhalten.
Dieser Trainingsansatz verhindert aber auch unerwünschtes Verhalten durch geeignete Management-Massnahmen, wenn der Hund eine Situation (noch) nicht schafft bzw. das Training noch nicht so weit fortgeschritten ist. Weil wir Alle aber nicht im Labor leben, kommt es manchmal trotzdem unverhofft zu diesen Situationen. Dann werden gut aufgebaute und vielseitig belohnte Signale genutzt, um ein unerwünschtes Verhalten zu unterbrechen. Das kann genau so gut ein „Komm zu mir“ sein wie ein „Lass es“, wenn der Hund selbst entscheiden darf, was er stattdessen tun möchte.
Ein Trainer dieses Trainingsansatzes wird aber einen Hund nie bewusst in ein unerwünschtes Verhalten führen, um ihn dann zu korrigieren. Diese Art des Trainings birgt zu viele Risiken und ist erst noch unfair, dem Hund aber auch dessen Menschen gegenüber. Deshalb nutzt er auch keine Werkzeuge aus dem Quadranten des positiven Hemmens.
Es wird aber auch nie alleine auf den positiv verstärkenden Quadranten setzen, genauso wenig wie der aversiv arbeitende Trainer nur den positiv Hemmenden nutzt. Denn beides wäre nicht sinnvoll und auch nicht realisierbar.
Zitat: Wo macht positives Training Sinn?
Ein auf Verstärkung setzendes Hundetraining ist immer und für alle Verhalten der sinnvollste Weg. Denn dieses legt den Fokus auf die Ursachen für ein Verhalten, beachtet dabei aber auch die Bedürfnisse, Fähigkeiten und Möglichkeiten von Hund UND Mensch.
Und gerade für die im Artikel erwähnten Hunde, die einen grossen Rucksack aus der Vergangenheit mitbringen und vielleicht schon diverse schlechte Erfahrungen gemacht haben, gibt es nichts Anderes. Denn nur so kann der Hund wieder Vertrauen und Sicherheit aufbauen und wird gleichzeitig aufnahmefähig für Neues. Aversive Handlungen hingegen führen nur dazu, dass seinem Rucksack weitere negative Erfahrungen hinzugefügt werden und sein Vertrauen noch mehr schwindet.
Zitat: (Positiv für) Hunde (…) die nicht an Statusoptimierung interessiert sind
Diese Aussage unterstellt, dass es Hunde gibt, die nach einem höheren Status innerhalb der Menschenfamilie trachten. Und dass dies nur durch aversive Trainingsmethoden verhindert werden könne.
Damit scheint sich die Autorin noch an einem Hundebild aus den 80er und früheren Jahren zu orientieren. Zu dem Zeitpunkt ging man davon aus, dass es einen Alphahund gibt, der permanent nach Macht strebt und dies nicht nur unter Seinesgleichen.
Die moderne Wissenschaft hat dies aber zum Glück schon längst in die Welt der Mythen verwiesen. Selbst David Mech, der den Begriff des Alphawolfs 1970 prägte, hat seine Aussage 1999 widerrufen. Denn wildlebende Wölfe haben ein ganz anderes Sozialleben als die Gehegewölfe gezeigt, die ohne verwandtschaftliche Beziehungen zusammen leben mussten.
Zitat: Aversiv heisst (…) über Korrekturen zu arbeiten. Gewalt im Sinne von Angst, Schrecken und Schmerz hat in der Hundeerziehung nichts zu suchen
Was das Zufügen von Angst, Schrecken und Schmerzen betrifft bin ich ganz bei der Autorin.
Sie erklärt jedoch nirgends, wie sie diese unschönen Gefühle verhindert, obwohl sie ihre Korrekturen selbst als aversiv bezeichnet. Dabei gehören unter anderem genau diese Gefühle zum Quadranten der «Positiven Hemmung», bei dem Korrekturen und Strafen eingesetzt werden. Wäre dies nicht so, gäbe es für den Hund ja auch keinen Grund, sein Verhalten zu ändern.
Zudem, wo fängt Gewalt an, zu der laut Definition physischer und psychischer Zwang und Einwirkungen gehören? Letztendlich bestimmt immer der Empfänger, wie das Handeln bei ihm ankommt und nicht der Ausführende.
Zitat: (…) Durch eine Korrektur soll der Hund ein gewisses Verhalten künftig vermeiden oder gehemmt werden (…) Ein Abbruchsignal (…) ist unter anderem darunter zu verstehen.
Der Sinn einer Korrektur ist es doch, Bestehendes oder eine Tätigkeit so zu verändern, dass sie zukünftig möglichst fehlerfrei sind oder ausgeführt werden. Dazu gehört aber auch, dass der Korrigierte weiss, wie er etwas besser machen kann.
Das ist aber weder Sinn noch Zweck eines Abbruchsignals, denn es dient einzig dazu, ein Verhalten für diesen Moment zu unterbrechen. Es sagt aber dem Hund weder, dass etwas Falsch ist, noch bringt es ihm ein anderes Verhalten bei oder verbessert etwas.
Es gibt für mich auch keinen Grund weshalb ein Hund nach einem Abbruchsignal Meideverhalten zeigen soll. Er ist ja dem Signal nachgekommen. Und wenn das Abbruchsignal zudem noch gut und mit vielen Verstärkern aufgebaut wurde, folgt ihm der Hund gerne und ohne Angst (mehr zum Einsatz von Abbruchsignalen im verstärkenden Training findest du im Punkt 2 weiter oben).
Zu einem Meiden kommt es doch nur, wenn der Hund gelernt hat, dass diesem Signal etwas Unangenehmes folgt, welches in der Regel von seinem Menschen ausgeht. Das kann dann aber auch dazu führen, dass ihn irgendwann die Annäherung der Hand oder die Nähe seines Menschen verunsichert. Deshalb wurde früher oft die anonyme Strafe empfohlen. Das hat aber zu einer starken Verunsicherung geführt, weil der Hund nie wusste, wann, woher und was kommt und wie er es verhindern kann.
Und weil auch bei den «Korrekturen» die klassische Konditionierung greift, reichen später dann schon die Vorboten wie ein Luftanhalten, ein schneller Schritt, das Klingeln der Discs oder ein «Gsssch», dass der Hund sein Verhalten unterbricht.
Da mit Verstärkern aufgebaute Signale mindestens genau so gut funktionieren, dabei aber bessere Gefühle erzeugen, gibt es für mich keinen Grund einen Hund zu erschrecken oder blockieren, um ein Verhalten zu unterbrechen. Zumal wir damit ja meistens auch noch ein Verhalten unterbrechen, welches für einen Hund ganz normal ist.
Zitat: Aversives Training macht da Sinn, wo (…) vom Hund nichts Positives gezeigt wird (…) Es wäre zu einfach zu sagen, dass der Mensch die Situation falsch gestaltet oder zu spät reagiert hat.
Dass man einem unerwünschten Verhalten meist nicht mehr viel Positives abgewinnen kann, ist nur zu verständlich. Die Frage ist jedoch, wie es dazu kommen konnte. Denn bevor der Hund ein solches Verhalten zeigt, hat er schon ganz viele, meist sehr feine Signale ausgesandt und viele gute Verhalten gezeigt, die man verstärken könnte. Wurde nicht auf diese geachtet oder wurden sie bewusst missachtet, dann muss man sich an der eigenen Nase nehmen. Und ja: Das achtsame Unterwegssein kann gerade am Anfang anstrengend sein, aber das Korrigieren von unerwünschtem Verhalten ebenso. Zudem ist das unerwünschte Verhalten für alle sehr belastend.
Und gerade in den hoch emotionalen Situationen, ist das Stresssystem des Hundes so überlastet, dass er nicht mehr bewusst handeln kann (es wirken die 4 F). In diesem Moment ist er auch nicht mehr lern- und aufnahmefähig.
Was bringt dann eine Korrektur bzw. aversive Handlung seitens des Menschen? Vielleicht ist die Korrektur so stark, dass der Hund sein Verhalten tatsächlich unterbricht. Aber die unguten Gefühle bleiben und ohne Alternative wird er das nächste Mal wieder genauso handeln oder seinen Stress an anderer Stelle abbauen.
Zitat: Hunde, die hinterfragen, selbständige Entscheidungen treffen, immer gewinnen wollen und den Wettbewerb lieben (…)
Mit diesen Begriffen werden dem Hund (allzu menschliche) Absichten unterstellt, für die es keinerlei Belege gibt. Sie eignen sich aber sehr gut als Begründung für die aversiven Handlungen gegenüber dem Hund.
Denn um welchen Wettbewerb soll es zwischen Hund und Mensch genau gehen? Kämpfen sie um die läufige Hündin oder wer den Knochen bekommt? Oder meint die Autorin damit den Hund, der sich gegen das Bedrängen und die Einschränkungen durch seinen Menschen oder fremden Trainer zur Wehr setzt, weil er nicht versteht, was gerade passiert und es ihm Angst macht?
Und weshalb soll ein Hund nicht auch Signale und Verhalten seines Menschen hinterfragen dürfen? Ein Hund ist doch kein reiner Befehlsempfänger, der ohne zu denken alles ausführt, was sein Mensch von ihm möchte und sei es noch so unsinnig oder seinen eigenen Empfindungen und Bedürfnissen zuwider laufend.
Und wie schlimm für ein Lebewesen, wenn ihm keine eigenen Entscheidungen zugestanden werden. Hunde wurden für Aufgaben gezüchtet, in der sie oft auch selbständig entscheiden müssen. Und nun sollen sie dies bei uns unterlassen, nur weil es bequemer für uns ist.
Natürlich spreche ich hier nicht von absolut notwendigen Dingen oder Notsituationen. Und es spricht auch nichts dagegen, Signale aufzubauen, die dem Hund sagen, dass er etwas Bestimmtes tun oder lassen soll. Aber dies kann man kleinschrittig und über Verstärkung aufbauen und dem Hund gleichzeitig zeigen, was man von ihm möchte
Trainingsinhalte
Es gibt jedoch auch Aussagen, bei denen ich ganz bei der Autorin bin, wie zum Beispiel, dass ein Training nicht nur aus Sitz, Platz und Alternativverhalten besteht und dass das Arbeiten und Trainieren mit Hunden nie zu Angst, Schrecken oder Schmerzen führen darf.
Dann muss der Hund auch kein Meideverhalten zeigen, sondern kann freudig mit seinem Menschen zusammenarbeiten und trotzdem oder gerade deswegen ein Hund sein, der auf die Signale seines Menschen achtet und im Alltag unauffällig ist.
Abschliessend noch einige Gedanken, wie die Art des Trainings Bindung und Beziehung beeinflusst
Der Unterschied zwischen aversivem und affirmativem Hundetraining liegt in den verwendeten Methoden und den Prinzipien.
Aversives Hundetraining verwendet unangenehme Reize oder Strafen, um unerwünschtes Verhalten zu unterbinden oder zu unterdrücken. Dazu gehören körperliche Bestrafungen, aber auch Schimpfen und Einschüchterungen mit dem Ziel, den Hund so weit einzuschüchtern, dass er ein bestimmtes Verhalten unterlässt.
Affirmatives Hundetraining basiert auf der Verwendung von Verstärkern, um gewünschtes Verhalten zu fördern und zu verstärken. Dabei nutzt es Belohnungen wie Aufmerksamkeit, Lob, Futter und Spieli, aber auch Lieblings-beschäftigungen.
Der wichtigste Unterschied liegt jedoch in meinen Augen in den ethischen Grundsätzen:
Bin ich bereit, beim Hund unangenehme Gefühle und Emotionen auszulösen, wenn es auch anders geht? Und dabei zu riskieren, dass mein Training das Vertrauen und die Bindung zwischen mir und meinem Hund beeinträchtigt. Erst recht, wenn ich weiss, welche negative Auswirkungen aversive Handlungen haben (inzwischen durch unzählige Studien belegt – am Ende habe ich einige verlinkt) und wie positiv sich ein fairer und zugewandter Umgang auf die Beziehung und Bindung zu meinem Hund auswirken. Und wie gut sich Vertrauen, Kommunikation und Zusammenarbeit statt eines Gegeneinander und Fehlersuchens anfühlen.
© 2023 Monika Oberli, Teamschule.blog
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