Im Internet finden sich unzählige Artikel zur Kastration einer Hündin. Und in sehr vielen steht geschrieben, dass ein Viertel der nicht oder spät kastrierten Hündinnen an einem Mammatumor erkranken werden (Tumor in der Gesäugeleiste).
Rettung bringe hier einzig und alleine die Kastration. Je früher desto besser. Denn kastriere man die Hündin noch vor der 1. Läufigkeit, beträgt ihr Risiko nur noch 0,5 %. Ist also verschwindend klein.
Wartet man jedoch länger, wird das Risiko immer grösser, bis es am Ende 25% beträgt. Das heisst, dass dann jede 4. Hündin daran erkranken wird.
Ein enormer Unterschied. Und somit wäre eigentlich alles klar. Oder etwa doch nicht?
WAS ES MIT DIESEN ZAHLEN AUF SICH hat
Bei diesen Zahlen fehlen ein paar wesentliche Angaben!
Unter anderem, dass diese aus einer Studie aus dem Jahre 1969 stammen. Das alleine muss noch nichts bedeuten.
Aber bereits 2007 hat Frau Dr. Gabriele Niepel in ihrem Buch „Kastration beim Hund – Chancen und Risiken *“ darauf hingewiesen, dass diese Zahlen nur das relative Risiko aufzeigen (* basierend auf der Bielefelder Kastrationsstudie von Dr. Gabriele Niepel aus dem Jahre 2003)
Bei diesen Zahlen werden also nicht alle Hündinnen betrachtet sondern nur diejenigen, die tatsächlich das Risiko in sich tragen daran zu erkranken. Nehmen wir jedoch alle Hündinnen als Basis, dann sehen die Zahlen ganz anders aus:
Die Wahrscheinlichkeit, dass eine Hündin an einem Mammatumor erkrankt, liegt bei 0,2 bis 2%. Somit könnten von 100 Hündinnen 0.2 bis 2 einen Tumor entwickeln. Oder anders gesagt, 98 Hündinnen würden grundlos kastriert. Zudem treten die Gesäugetumore in der Regel erst in einem höheren Alter auf, das auch nicht alle Hündinnen erreichen.
Aufgrund neuerer Studien an Golden Retrievern und Vislaz weiss man zudem, dass kastrierte Hund anfälliger für andere Krankheiten und Krebsarten, sowie Gelenkserkrankungen zu sein scheinen, als unkastrierte. Dieses Ergebnis muss aber sicherlich noch anhand weiterer Studien an anderen Rassen sowie Erfahrungen aus der Praxis überprüft werden (inzwischen wurden noch weitere Risikofaktoren für kastrierte Hündinnen entdeckt).
Auch darf nicht vergessen werden, dass nach einer Kastration die ausgleichenden weiblichen Hormone fehlen, was sich bei manchen Hündinnen mit einem generellen Aggressionsthema verschärfend auswirken kann.
KASTRATION NICHT ZU FRÜH
Leider kann dir heute niemand sagen, ob deine Hündin zur kleinen, betroffenen Gruppe gehört oder zur grösseren Gruppe, ohne dieses Risiko.
Wenn dir das Restrisiko zu hoch ist und du deine Hündin kastrieren lassen möchtest, dann lass ihr bitte so viel Zeit, bis sie körperlich und geistig ausgereift ist. Dies ist in der Regel nach der 3. bis 4 Läufigkeit der Fall (siehe dazu auch diesen Facebook-Beitrag)
DER BESTE ZEITPUNKT FÜR DIE KASTRATION
…steht im direkten Zusammenhang mit dem Zyklus der Hündin
- Proöstrus (Dauer: 7- 10 Tage)
- Östrus (Dauer: 7 – 10 Tage)
- Metöstrus (Dauer: durchschnittlich 75 Tage)
- Anöstrus (Dauer: 5-10 Monate)
Diese letzte Phase (auch Ruhephase genannt) in der jegliche äusseren Anzeichen des Zyklus fehlen ist, ist der beste Zeitpunkt für eine Kastration: der Hormonstatus ist niedrig und auch das Blutungsrisiko gering.
AUCH BEIM RÜDEN MUSS EINE KASTRATION GUT ÜBERLEGT SEIN
Auch beim Rüden wird die Kastration oft als das Mittel der Wahl empfohlen, wenn dieser in die Pubertät kommt und er sich für das weibliche Geschlecht zu interessieren beginnt oder mal andere Hunde anpöbelt. Dabei gehört auch dies zum Erwachsenwerden eines Rüden – bei dem einen etwas mehr beim anderen weniger. Denn ähnlich wie unsere Jugendlichen stecken sie mitten in der Adoleszenz und müssen erst einmal lernen mit ihrem neuen Hormonstatus zu Recht zu kommen.
Und ja, es ist nicht immer leicht, mit einem verliebten Rüden an der Leine spazieren zu gehen, weil gerade eine läufige Hündin unterwegs ist oder die Pipistellen gerade so intensiv riechen. In der Regel nimmt das Interesse an diesen Gerüchen aber mit zunehmenden Alter auch wieder ab.
Und vor allem beeinflusst eine Kastration nur die Verhalten, die tatsächlich mit den Sexualhormonen zu tun haben. Bei Rüden, die sich aus anderen Gründen aggressiv zeigen (Unsicherheit, Überforderung, Stress, Ressourcen-Verteidigung, sofern nicht sexuell motiviert…) wird eine Kastration keine oder nur marginale Verbesserungen bringen. Bei manchen Hunden kann sie sogar zu einer Verschlechterung führen.
Gerade Unsicherheiten werden oft verstärkt, da nun das unterstützende Testosteron fehlt. Manche Rüden riechen anschliessend auch so anders, dass sie von anderen Rüden bedrängt werden.
Und auch gesundheitlich ist eine Kastration nicht ohne. Man weiss zum Beispiel, dass dadurch das Risiko für bösartige Tumore steigen kann. Ausserdem können die fehlenden Sexualhormone zu einer Bindegewebsschwäche führen, die sich vor allem bei älteren und molosserartigen Hunden auswirkt. Vom Menschen ist auch bekannt, dass fehlendes Testosteron zu Stimmungsschwankungen und Depressionen führen kann.
Und selbst wenn dies alles nicht passiert, so ist auch nicht gesagt, dass sich das Verhalten durch eine Kastration tatsächlich verbessert. Denn manches Verhalten ist irgendwann auch erlernt, zudem entfällt lediglich das Testosteron, welches in den Hoden produziert wird.
AUCH BEIM RÜDEN DIE KASTRATION NICHT ZU FRÜH
Wenn der Hund natürlich jedes Jahr stark leidet, sobald läufige Hündinnen unterwegs sind, kann eine Kastration sinnvoll sein. Ebenso, wenn der Hund immer wieder in Rüdenstreitereien verwickelt ist. Erst recht, wenn diese nicht von ihm ausgehen (Hier muss es vorher aber ganz genau abklärt werden. Nicht dass es danach schlimmer ist).
Auch beim Rüden sollten die Hormone ihre Aufgabe erst erfüllt haben, bevor er kastriert wird. Denn diese sind ja nicht nur für den Sexualtrieb zuständig, sondern tragen auch viel zur körperlichen Entwicklung (Knochendichte, Muskelmasse…) und mentalen Reife bei. Wann diese Entwicklung abgeschlossen ist, ist natürlich von Rasse und Individuum unterschiedlich. Aber grob kann gesagt werden, dass dies bei Kleinhunderassen meist früher der Fall ist als bei grossen Rassen. Eine gute Regel ist, dass man ihm gleich lange Zeit lassen sollte, bis eine Hündin seiner Rasse die dritte oder vierte Läufigkeit durch hat.
Ebenso empfiehlt es sich, die Kastration nicht im Frühling durchzuführen, da hier der Hormonstatus infolge läufiger Hündinnen tendenziell höher ist. Inzwischen gibt es Studien, die darauf hindeuten, dass auch andere Monate besser oder weniger gut geeignet sein könnten, einen Rüden zu kastrieren.
EINFLUSS DER KASTRATION AUF DAS VERHALTEN VON RÜDE UND HÜNDIN
Bei beiden Geschlechtern gilt: eine Kastration wird immer nur die Verhalten beeinflussen, die durch die Sexualhormone gesteuert werden. Die Jagdleidenschaft, Gehorsamsprobleme oder eine geringe Frustrationstoleranz und Impulskontrolle im Alltag gehören jedoch nicht dazu oder nur, wenn der Stresslevel aufgrund sexuell motivierter Frustration bereits sehr hoch ist.
Bei einem zu frühen Kastrationszeitpunkt besteht zudem die Gefahr, dass sowohl Hündin als auch Rüde ein welpiges Verhalten beibehalten und was aber von anderen Hunden im Erwachsenenalter oft nicht mehr akzeptiert wird.
Und viele Verhalten lassen sich statt durch Operation auch durch ein gutes, bedürfnisorientiertes Training verändern. Erst recht, wenn man es nicht erst lange anstehen lässt. Denn je länger der Hund unerwünschtes Verhalten ausübt, desto länger dauert auch das anschliessende Training. Und je öfter ein Hund eine Auseinandersetzung zu seinen Gunsten entscheidet, desto eher wird er wieder auf dieses Strategie zurückgreifen.
Und nicht vergessen werden darf, was die Östrogene, welche vor allem in den Eierstöcken gebildet werden, neben Sexualfunktionen noch für Aufgaben haben:
- Östrogene haben eine schützende und stabilisierende Wirkung auf die Knochen
- Östrogene schützen die Blutgefässe
- Östrogene sind die Gegenspieler zu den auch bei den Hündinnen vorkommenden männlichen Hormonen. Fehlen diese, kann es zu einer Vermännlichung der Hündin kommen
- Das Risiko von Altersdiabetes steigt
DEINE HÜNDIN LEIDET NICHT, WENN SIE KEINE WELPEN BEKOMMT
Auch in einem festen Rudel bekommen nicht alle Wölfinnen Welpen. Nur diejenigen, die abwandern gründen auch eine eigene Familie. Bei festen Hundegruppen ist es etwas anders. Aber auch da werden nicht alle Mütter.
Jedoch durchleben die meisten dort eine Scheinmutterschaft. So könnten sie im Notfall die Welpchen ernähren, würde der Mutter etwas passieren. Auch unkastrierte Hündinnen zeigen dieses natürliche Verhalten noch zum Teil.
Du kannst aber die Scheinträchtigkeit bzw. Scheinmutterschaft etwas beeinflussen sollte deine Hündin eine starke durchmachen: Reduziere bei deiner Hündin ab den nächsten Stehtagen das Futter um ca. einen Drittel (natürlich nur bei gesunden Hunden) und gib evt. auch etwas Petersilie übers Futter (abhängig von der Grösse bis zu einem Teelöffel). Lass auch ihr Gesäuge in Ruhe, damit es nicht zur Milchproduktion angeregt wird.
Wenn du dich noch weiter über dieses Thema informieren möchtest, empfehle ich dir unter anderem diese Artikel:
- Die Kastration des Rüden aus verhaltensbiologischer Sicht
- Neurobiologische Aspekte der Kastration
- Kastration beim Hund – ein Paradigmenwechsel
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