Alles eine Frage der Dominanz

Dominanz – eine Eigenschaft, welche Hunden gern nachgesagt wird. Aber was ist wirklich dran, am dominanten Hund? Und welchen Nutzen hat diese für dich im Alltag und Training?

Was wird dem Hund unter dem Deckmantel der Dominanz nicht alles unterstellt. Er ist frech und dominiert dich, wenn er…

  • Signale nicht befolgt
  • Spielzeug für sich behält
  • als erstes durch die Tür geht
  • Besucher anspringt
  • es sich auf dem Sofa bequem macht
  • andere Hunde am Gartenzaun verbellt
  • beim Anblick anderer Hunde in die Leine springt
  • den gefundenen Kauknochen nicht ausgibt

Dann sind Erziehungsratschläge schnell zur Hand, die dem Hund zeigen sollen, wo sein Platz in der Rangordnung ist! Und schon sind die Probleme gelöst.

Wäre das nicht schön? Dann musst du dir keine Gedanken zu den Ursachen machen und schon gar nicht deine eigenen Erwartungen ändern. Denn an allem ist das Streben des Hundes nach der Weltherrschaft schuld.

DOMINANZ – EIN WISSENSCHAFTLICHER BEGRIFF

Das Wort sagt erst einmal ganz einfach, dass Jemand oder Etwas in dem Augenblick vorherrschend ist, ohne dass er dies wirklich bewusst tun oder gar aggressiv tut. Gerade letzteres zeichnet eher einen Despoten denn ein souveränes Lebewesen aus – egal ob Mensch oder Tier.

Genauso gut kann es aber auch eine Blume, ein Duft oder eine Farbe sein, die in einem Raum vorherrscht und somit dominant in Erscheinung trittt.

Bei alldem müssen wir uns aber auch bewusst sein, dass es sich beim Begriff „Dominanz“ um ein wissenschaftliches Konstrukt handelt, welches einem Verhalten einen Namen gibt. Im Alltag sagt der Begriff „Dominanz“ hingegen wenig aus, denn weder ein Hund noch Mensch ist per se dominant (dazu aber in einem weiteren Artikel mehr). Hinzu kommt, dass jedes Fachgebiet anders an diesen Begriff herangeht.

KONSEQUENZEN FÜR UNSERE HUNDE

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Szene aus einer Spielsequenz

Trotzdem führt das Bild des dominanten Hundes bis heute dazu, dass es wie ein Damoklesschwert über vielen Hundehaltern schwebt. Denn wer möchte schon einen Hund, der permanent nach Macht strebt und seinen Menschen im schlimmsten Fall nicht mehr auf Bett oder Sofa lässt.

Und so wird leider auch heute noch unter dem Deckmantel der Dominanz den Hunden sehr viel Unschönes unterstellt.

Was dann leider auch zu Trainingstipps und einem Alltag voller widernatürlichen Regeln führt:

  • Dein Hund darf nie höher liegen
  • Dein Hund muss immer aufstehen, wenn du durch gehen möchtest
  • Dein Hund darf nie vor dir essen
  • Dein Hund muss auf dem Spaziergang hinter dir gehen
  • Dein Hund darf sich nur schnüffeln und sich lösen, wenn du es erlaubst
  • und letztendlich: Dein Hund muss ALLES von dir akzeptieren und sich dir jederzeit unterordnen

Und so werden dann auch für den Hund unangenehme Korrekturen angewandt, bei denen er bedrängt und eingeschüchtert wird oder gar Schmerzen verspürt, um ihn so von seinem Tun abzuhalten. Dies mit der Begründung, dass Hunde ja auch nicht zimperlich miteinander umgingen oder Kekse werfen, wenn sie (Achtung Ironie): andere Hunde an der Leine führen, mit ihnen durch die Innenstadt gehen oder ihnen die Nähe fremder Menschen und Hunde aufzwingen.

WAS IST DRAN AN DIESEM MYTHOS

Inzwischen ist längst erwiesen, dass in Wolfsrudeln, im Gegensatz zu Primatengruppen und anderen Tieren, keine hierarchischen Strukturen gelebt werden *. Vielmehr leben sie wie wir in festen Familienstrukturen zusammen. Und wie bei uns, treffen die Elterntiere aufgrund ihrer Erfahrung die wichtigsten Entscheidungen, lassen aber auch ihren Nachwuchs einfach mal gewähren. Und auch in Hundegruppen ohne verwandtschaftliche Beziehungen orientieren sich Hunde gerne an einem souveränen Hund oder auch Menschen, der sie fair behandelt. Weshalb soll er dann nach mehr streben?

* Selbst David L. Mech, auf der diese Konstrukte basierten, hat seine Auslegung eines Alphawolfs widerrufen, weil sie sich als falsch herausstellte (und dies schon 1999!)

Entsprechende Studien zeigen deshalb auch, dass Erziehungsmodelle, welche den vermeintlich „dominanten“ Hund an seinen Platz verweisen sollen, nichts bringen. Im Gegenteil, sehr oft verschlimmern sie das Verhalten noch. Wenn vielleicht nicht unmittelbar aber irgendwann wird sich ein „gedeckeltes“ Verhalten“ Luft verschaffen – sei es als Angriff gegen Aussen gerichtet oder nach Innen in Form von Erkrankungen.

Die Dominanztheorie ist wahrscheinlich die am häufigsten missverstandene, allgemein angewandte Verhaltenstheorie im Bereich des Hundeverhaltens. Sie wurde in der Vergangenheit (Anm: 1922) entwickelt, um das Sozialverhalten von Hühnern zu erklären und vorherzusagen. Dann wurde diese Theorie auf andere Tierarten ausgeweitet, einschliesslich eines nahen Verwandten des Hundes, dem Wolf. (James O’Heare – Die Dominanztheorie bei Hunden).
Die erste Erwähnung einer Rangordnung findet man jedoch schon 1802 bei dem Schweizer Pierre Huber und den Österreicher Eduard Hofer, welche diese bei einigen Hummelarten beschrieben
.

DOMINANZ  BESCHREIBT KEINEN CHARAKTER

Selbst wenn ein Lebewesen in einer bestimmten Situation dominant erscheint, wäre es falsch dieses als generell dominant zu bezeichnen. Denn dasjenige, welches gerade souverän auftritt, selbstbewusster wirkt und die Führung in einer Gruppe übernimmt, kann sich in einer anderen Gruppe zurückhaltend verhalten und anderen die Führung überlassen..

Die nachfolgenden Definitionen beschreiben deshalb die momente Beziehung zwischen zwei oder mehr Lebewesen viel besser – egal ob sie sich nur kurz treffen oder in einer Langzeitbeziehung leben:

Verhaltensebene: Somit gehören zu einer Dominanzbeziehung immer mindestens zwei: Einer der dominiert und der andere, der sich dominieren lässt. (G. Bloch, E. H. Radinger – Wölfisch für Hundehalter)

Spricht man von Dominanz, muss man aber auch immer zwischen einer situativen, das heisst aktuell ausgeübten, sowie der formalen, auf Langzeitbeziehungen ausgerichteten Dominanz, unterscheiden.

Ein weiteres Missverständnis des Dominanzkonzepts beruht darauf, dass Dominanzbeziehungen oftmals auf zwei unterschiedlichen Ebenen angetroffen werden: Da gibt es zum einen die formale Langzeitdominanz, oft auch als soziale Dominanz bezeichnet (Udo Ganslosser, Sophie Strodtbeck)
(Anmerkung: … sowie die situative Dominanz).

Beziehungsebene: „Tiere, die regelmässig mit denselben Artgenossen um Ressourcen (soziale Zuwendung, Futter, Liegeplätze, Sexualpartner etc.) konkurrieren, können untereinander Dominanzbeziehungen ausbilden. Soziale Dominanz ist EIN Aspekt einer sozialen innerartlichen Beziehung! (Dr. Ute Blaschke-Berthold)

MEIN HUND IST MENTAL STARK

Solltest du wirklich einen mental starken und souveränen Hund an deiner Seite haben, ist es dann richtig, ihm deinen Willen mittels Druck und Zwang aufzuzwingen?

Als Mensch sollte ich doch in der Lage sein, einen Hund so zu motivieren und anzuleiten, dass er sich uns gerne anschliesst und ohne ihn zu verbiegen oder der Erwartung, dass er seine eigenen Bedürfnisse jederzeit den unseren unterordnen muss.

Denn auch ein Hund hat das Recht, „Nein“ zu sagen oder seine eigenen Bedürfnisse erfüllt zu bekommen, solange er damit Niemanden gefährdet.

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© 2016 (überarbeitet 2023) – Teamschule – Monika Oberli

6 Gedanken zu “Alles eine Frage der Dominanz

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